Krankenkassen müssen MS-Erkrankte mit elektronischem Fußheber-System versorgen
Erfolgreiche Klage von BetroffenenGehfähigkeit durch MS-Erkrankung beeinträchtigt
Geklagt hatten zwei Frauen, die beide seit circs 15 Jahren an einer stetig fortschreitenden Multiplen Sklerose (MS) leiden. Durch die chronisch-entzündliche Krankheit, die das zentrale Nervensystem angreift, ist die Gehfähigkeit der Frauen jeweils stark eingeschränkt. Den Klägerinnen wurde deshalb von einem Arzt das Fußheber-System „Ness L 300“ verordnet. Daraufhin beantragten sie das Gerät bei ihrer Krankenkasse. Das System, welches an der Wade befestigt wird, verfügt über einen Gangsensor, der die Gehgeschwindigkeit und den Boden analysiert und kann die Gehmuskeln im Bein elektrisch stimulieren.
Krankenkasse wollte Kosten nicht tragen
Die Kosten in Höhe von 5.500 Euro sowie die Zusatzkosten für Einweisung, Anpassung und Software-Updates wollte die Krankenkassen mit Verweis auf ein Gutachten des Medizinisches Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nicht übernehmen. Sie verwiesen ihre Versicherten vielmehr auf herkömmliche und kostengünstigere Hilfsmittel wie Fußheberorthesen und Peroneusschienen. Zudem sei das Gerät nicht in das Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes aufgenommen worden, sodass es an einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses fehle.
Gerichte sahen Klägerinnen im Recht
Beide Frauen zogen daraufhin vor das Sozialgericht (SG). Sowohl das SG Freiburg als auch das SG Stuttgart gaben den Klagen statt und verurteilen die Krankenkassen zur Versorgung mit dem Fußheber-System. Gegen diese Urteile legten die Krankenkassen Berufung zum LSG ein. Der 4. und 11. Senat des LSG schlossen sich der Meinung der erstinstanzlichen Gerichte an und gaben den Klägerinnen Recht.
Nach Ansicht der Richter des Landessozialgerichts ist das Ziel der Versorgung der Klägerinnen mit dem „Ness L 300“, die beeinträchtigten Körperfunktionen, also das Gehen, auszugleichen (sogenannter unmittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall gilt das Gebot, das Funktionsdefizit möglichst weitgehend auszugleichen und dabei den aktuellen Stand von Medizin und Technik zu berücksichtigen. Zugleich muss jede Leistung der gesetzlichen Krankenkassen an Versicherte dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen, also „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein (§ 12 Absatz 1 Satz 1 SGB V). Dies wird relevant bei zwei gleichwertigen, unterschiedlich teuren Hilfsmitteln.
Die dynamischen Fußheberorthesen, auf welche die Krankenkassen verwiesen hatten, konnten die Behinderung beim Gehen allerdings nicht in gleicher Weise ausgleichen, wie das Fußheber-System „Ness L 300“. Hiervon hatten sich auch die Richter in einer mündlichen Verhandlung anhand von Videodokumentationen überzeugt. Andere, gleich wirksame, aber günstigere Hilfsmittel hatte die Krankenkasse nicht benannt, weshalb die Versorgung mit dem „Ness L 300“ dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht.
Positive Empfehlung des G-BA nicht erforderlich
Das Fehlen einer positiven Empfehlung des G-BA sei ebenfalls kein Grund, die Versorgung der Klägerinnen mit dem Fußheber-System abzulehnen. Zwar sei eine positive Empfehlung des G-BA Voraussetzung für die Kostenübernahme einer neuen Behandlungsmethode. In den zugrundeliegenden Fällen ziele der Einsatz des Fußheber-Systems jedoch nicht darauf ab, die Multiple Sklerose zu behandeln, sondern als Hilfsmittel die Gehbehinderung der Betroffenen auszugleichen und so die Gehfähigkeit und Mobilität zu verbessern. Die positive Empfehlung des G-BA sei daher entbehrlich.
Quellen: (LSG Stuttgart, Urteil vom 15.06.2018 – L 4 KR 531/17 und LSG Stuttgart, Urteil vom 19.06.2018 – L 11 KR 1996/17).
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