Krankenkasse muss 17.500 Euro teure Finger-Handprothese bezahlen
Dem Urteil am Landesgericht Hessen lag die Klage einer 34-jährigen Frau zugrunde, die seit ihrer Geburt an einer Fehlbildung der linken Hand leidet. Aufgrund mehrerer Operationen mit (Teil-) Amputationen fehlt bei der Klägerin der Mittelfinger komplett; Daumen, Zeige- und Ringfinger sind nur noch zur Hälfte vorhanden. Da bei der Arzthelferin somit nur ein Finger vollständig funktionsfähig erhalten ist, wurde bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt.
MDK lehnte Kostenübernahme ab
Ihr Arzt verordnete ihr daher im Februar 2013 eine individuelle Finger-Handprothese aus Silikon, die nach Abdruck gefertigt werden soll. Der Kostenvoranschlag eines Sanitätshauses wies eine Summe von rund 17.600 Euro für die Prothese aus.
Die Krankenkasse der Klägerin schaltete zur Frage der Kostenübernahme den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. In seinem Gutachten kam der MDK zu dem Ergebnis, dass keine medizinische Notwendigkeit für die Prothese gegeben sei. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin seit ihrer Geburt an diese Fehlbildung gut adaptiert sei. Verloren gegangene oder eingeschränkte Funktionen könnten durch die Prothese nicht ausgeglichen werden, da sicheres Greifen, Zupacken oder Festhalten von Gegenständen oder eine verbesserte Feinmotorik nicht möglich seien. Primäres Ziel sei vielmehr der optische, kosmetische Ausgleich.
Klage-Erfolg in zweiter Instanz
Auf Grundlage dieses Gutachtens lehnte die beklagte Kasse den Antrag auf Kostenübernahme ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb ebenfalls erfolglos, da eine weitere Stellungnahme des MDK Hessen zu einem ähnlichen Ergebnis kam, wie das erste Gutachten. Daraufhin erhob die Frau Klage vor dem Sozialgericht – und scheiterte in erster Instanz.
Mit der Berufung zum Landessozialgericht hatte sie schließlich Erfolg. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin durch die beklagte Krankenkasse mit der Finger-Handprothese aus Silikon zu versorgen sei. Rechtsgrundlage sei § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, demgemäß Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen (...). Dabei sei das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) zu beachten.
Nach Auswertung mehrerer Gutachten und Stellungnahmen kam das Gericht zu dem Schluss, dass die verordnete Prothese geeignet sei, die beeinträchtigten Körperfunktionen wiederherzustellen bzw. zu verbessern.
Prothese ermöglicht Halten und Greifen
Aufgrund der Amputationen sei es der Klägerin unmöglich, in normaler Weise mit der linken Hand zu greifen. Diese Funktionsausfälle würden durch die Prothese zumindest teilweise ausgeglichen, da die Prothese neben einer ästhetischen Verbesserung auch eine funktionelle Verbesserung der Greiffunktionen der fehlgebildeten Hand bewirke, so die Richter. Durch die Elastizität des Silikons sei das Greifen größerer Gegenstände möglich, soweit diese nicht allzu schwer seien. Im Übrigen könne mit Hilfestellung der rechten Hand das normale Greifen annähernd simuliert werden. Auf diese Weise würden unter anderem das Arbeiten an Computertastaturen, mit Computer-Mouse und an berührungsempfindlichen Bildschirmen verbessert, das Halten von Handys und Telefonen sowie des Lenkrads beim Autofahren ermöglicht und das Gegenhalten bei Küchenarbeiten, etwa dem Schälen von Obst und Gemüse, gewährleistet.
Durch die individuelle Anpassung der Silikonprothese könne auf empfindliche Stellen Rücksicht genommen und so eine optimale Greiffunktion erreicht werden. Vor allem die noch vorhandene Beweglichkeit der verbliebenen Fingerglieder, die sich die Richter von der Klägerin persönlich demonstrieren ließen, würden in Kombination mit der Prothese zur verbesserten Greiffunktion der linken Hand führen.
Sozialrichter kritisierten Krankenkasse und MDK
Gleichzeitig kritisierten die Richter die Gutachten des MDK. Diese seien nach Aktenlage und ohne persönliche Untersuchung der Klägerin erfolgt. Demnach sei der Beweiswert geringer als die Stellungnahmen des gerichtlich bestellten Sachverständigen und der behandelnden Ärzte. Zudem seien die (Teil-) Amputationen der Finger erst später erfolgt, weshalb die Klägerin, entgegen der Argumentation des MDK, nicht bereits seit Geburt auf die Fehlbildung eingestellt sei.
Schließlich wurde weder vom MDK noch von der beklagten Krankenkasse eine Alternative angeführt, wie die Beeinträchtigung der Klägerin anderweitig und wirtschaftlicher hätte ausgeglichen werden können, so das Gericht.
[Az.: L 8 KR 477/20]
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