Gewaltopfer: Vertrauliche Spurensicherung wird Kassenleistung
Bei Gewalttaten oder sexuellen Übergriffen können sich viele Opfer erst weitaus später offenbaren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Taten im familiären Kontext verübt wurden. Allein 2022 hat die niedersächsische Polizei 26.697 Fälle registriert – mit vermutlich wesentlich höherer Dunkelziffer. Ein Problem bei der Aufklärung und Täterüberführung ist, dass die physischen Spuren von Gewalt zum zeitpunkt der Anzeige oft schon verschwunden sind. Damit ist es unmöglich, sie für eine strafrechtliche Verfolgung zu nutzen oder sie zu dokumentieren.
Spurensicherung auch ohne Anzeige
Die Dokumentation der sogenannten vertraulichen und verfahrensunabhängigen Spurensicherung gibt es in Niedersachsen bereits seit 2012. Die Rechtsmedizinerin Anette Debertin von der MHH baute damals das Netzwerk ProBeweis auf. Mit der Initiative soll verhindert werden, dass für die Strafverfolgung wichtige Spuren verlorengehen. Seitdem konnten bereits mehr als 1500 vertrauliche Spurensicherungen vorgenommen werden. Jeder zweite Fall handelt dabei von Gewalt im häuslichen Kontext.
Oft seien Betroffene noch unschlüssig, ob sie die Tat anzeigen lassen möchten, so Prof. Dr. Debertin vom Institut für Rechtsmedizin. In fast vierzig niedersächsischen Kliniken dokumentieren Ärzte daher die Spuren der Gewalt, ohne dass eine Anzeige erfolgen muss. Diese Spuren sind dann für mindestens drei Jahre gesichert – Fotos und Dokumentationsbögen sogar dreißig Jahre lang. Das Opfer hat somit auch weit später noch die Möglichkeit, die Tat anzuzeigen. Das schafft Zeit und möglicherweise auch irgendwann Gerechtigkeit.
"Echte Kassenleistung" in Niedersachsen
Niedersachsens Sozialminister Dr. Andreas Philippi (SPD)SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag
Weitere Bundesländer vor Vertragsabschluss
Der Vertrag zwischen dem Land, ProBeweis und der GKV sieht vor, dass bei jeder erfolgten Spurensicherung 421 Euro pauschal an ProBeweis erstattet werden. Das Netzwerk wird hiervon 200 Euro an die jeweilige leistungserbringende Klinik überweisen. Bisher stand hierfür lediglich eine Fallpauschale von 50 Euro aus den Mitteln des Gesundheitsministeriums an die jeweiligen Kliniken zur Verfügung. In Niedersachsen hat ProBeweis 45 Untersuchungsstellen an 39 Partnerkliniken. Niedersachsen sei nun ein Vorreiter, heißt es von seiten des Verbandes der Ersatzkassen (vdek). Auch die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg stünden kurz vor dem Abschluss mit den gesetzlichen Krankenkassen, so vdek-Sprecher Simon Kopelke.
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