Warum jede Impfpflicht eine Hürde ist
Nicht nur in Pandemiezeiten gilt: Eine Impfpflicht kann nur unter bestimmten Voraussetzungen auf den Weg gebracht werdenRechtliche Hürden einer allgemeinen Impfflicht
Eine allgemein verfügte Impfpflicht – ob nun gegen COVID-19, Masern oder anderen Krankheiten – bedeutet stets auch einen Eingriff in Grundrechte. Eine gesetzliche Regelung zur Impfpflicht kann daher nur Bestand haben, wenn sie nicht gegen das Grundgesetz (GG) verstößt. Wegen dieser besonderen Grundrechtsrelevanz kann eine Impfpflicht ausschließlich vom Parlament beschlossen werden.
In jedem Fall würde eine Impfpflicht das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nach Artikel 2 einschränken. Dies ist zwar nicht generell unzulässig, entscheidend für die Verfassungsmäßigkeit ist aber die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs. In diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist das sogenannte Verhältnismäßigkeitsprinzip: Demnach muss ein Eingriff in Grundrechte einen legitimen Zweck verfolgen und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei kommt es maßgebend auf die Ausführungen des Gesetzgebers an. Ihm obliegt es, das genaue Ziel zu definieren und das Für und Wider einer Impfpflicht im Hinblick auf diesen Zweck abzuwägen.
Verhältnismäßigkeit als Kernproblem
Als verfolgtes Gemeinwohlziel kommen bei einer Impfpflicht etwa der Schutz vor schweren Krankheitsverläufen, das Erreichen einer Herdenimmunität vor allem zum Schutz von Personen, die sich nicht selbst ausreichend vor einer Corona-Erkrankung schützen können, die Verhinderung einer Überlastung des Gesundheitssystems und/oder die Vermeidung von Folgeerkrankungen durch eine Coronainfektion in Betracht.
Weiterhin muss der angeordnete Eingriff, also die Impfpflicht, geeignet sein, das heißt das verfolgte Ziel muss zumindest gefördert werden. Dass der Zweck vollständig erreicht wird, ist dabei nicht erforderlich. Zwar bietet eine Impfung keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Infektion, doch belegen Studien, dass das Risiko einer Virusübertragung durch eine Impfung stark vermindert ist und dass die Impfung auch vor schweren Krankheitsverläufen schützt.
Für die Erforderlichkeit des Eingriffs darf kein milderes, also die Grundrechte weniger beeinträchtigendes Mittel vorhanden sein, dass ebenso geeignet ist, den verfolgten Zweck zu erreichen. An dieser Stelle muss der Gesetzgeber also belegen, dass etwa Impfaufklärung, die bisherigen Schutzmaßnahmen und anderen Mittel nicht ausreichen, um das Ziel genauso gut zu verfolgen.
Schließlich müsste eine Impfpflicht auch angemessen sein. Dafür dürfte der verfolgte Zweck nicht außer Verhältnis zum Mittel (Impfpflicht) stehen. Insoweit bedarf es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, das heißt zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und den rechtfertigenden Gründen andererseits. Hierin liegt letztlich der Schwerpunkt, bei dem sämtliche Gesichtspunkte einzubeziehen und zu gewichten sind.
Unterschiedliche Modelle zur Impfpflicht
Ob eine Impfpflicht mit der Verfassung vereinbar ist oder nicht, kann nicht abstrakt bejaht oder verneint werden. Die Beantwortung der Frage hängt letztlich von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung ab. Wie diese auszusehen hat, darüber waren und sind sich die Bundestagsabgeordneten nicht einig. Zur Diskussion stehen dabei unterschiedliche Modelle.
Am weitreichendsten gehen Vertreter, die eine Corona-Impfpflicht für alle Erwachsenen ab 18 Jahren fordern. Dieses Modell hatte Österreich Anfang Februar eingeführt, jedoch knapp einen Monat später Anfang März bereits wieder ausgesetzt. Daneben wird auch eine Impfpflicht für bestimmte Personengruppen vorgeschlagen. Da vor allem Ältere geschützt werden sollen, wird zum Teil eine Impfpflicht ab 50 Jahren oder auch ab 60 Jahren befürwortet. Denkbar wäre eine Impfpflicht auch etwa für besonders gefährdete Personen mit bestimmten Vorerkrankungen. Im Gegensatz dazu wird eine Impfpflicht von anderen Vertretern und Politikern gänzlich abgelehnt. Sie wollen es statt dessen bei kampagnenartigen Aufklärungs- und Werbemaßnahmen belassen.
Wer von einer Impfpflicht erfasst wäre, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. Stets ausgenommen dürften Personen sein, bei denen eine Impfung aus medizinischen Gründen (z.B. Allergien) nicht möglich ist. Da aktuell eine Impfpflicht frühestens ab einem Alter von 18 Jahren im Raum steht, werden wohl auch Kinder und Jugendliche von einer Impfpflicht befreit sein.
Welche Konsequenzen sind möglich?
Sollte es zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht kommen, ist fraglich, welche Konsequenzen Ungeimpften drohen. Dieser Punkt löst immer wieder Streit aus, weil er mit der Frage der Durchsetzbarkeit verbunden ist. Gänzlich ausgeschlossen, weil unverhältnismäßig und unzulässig, dürfte insoweit unmittelbarer Zwang sein: Es wird niemand befürchten müssen, zwangsweise geimpft zu werden. Denkbar ist vielmehr, dass die Verletzung der Impfpflicht als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit einem Bußgeld belegt wird, ähnlich wie bei der Masernimpfpflicht. Dabei wären auch mehrmalige Strafzahlungen möglich.
Wo gilt bereits eine Impfpflicht?
Anfang Februar dieses Jahres hat Österreich als erstes Land in der EU eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus ab 18 Jahren beschlossen. Angesichts milderer Krankheitsverläufe durch die Omikron-Variante wurde die Regelung allerdings Anfang März ausgesetzt, da sie nicht mehr verhältnismäßig sei.
In Frankreich gilt seit September 2021 eine Teil-Impfpflicht für medizinisches Personal. Anfang des Jahres trat in Italien eine Impfpflicht für über 50-Jährige in Kraft, in Griechenland müssen Personen über 60 Jahren gegen das Coronavirus geimpft sein.
Auch in Deutschland ist eine Impfpflicht grundsätzlich keine Neuheit: Seit März 2020 gilt eine Masernimpfpflicht für Kinder und Beschäftigte in Gesundheits- sowie Gemeinschaftseinrichtungen. Bis 1976 war auch die Erstimpfung gegen Pocken in der Bundesrepublik Pflicht. Zum 16. März 2022 wurde hierzulande bereits die einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen das Coronavirus eingeführt.
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