Krankenschein vom Teledoktor: Neue App sorgt für Fragezeichen
Ärzte, Arbeitgeber und IT-Spezialisten sehen den schnellen Tele-Krankenschein kritischMillionen Krankschreibungen werden in Deutschland pro Jahr ausgestellt und ein Großteil davon für so genannte Bagatellerkrankungen wie Schnupfen, Unwohlsein oder Erkältungen. Es war eine nur eine Frage der Zeit, bis ein cleveres Unternehmen auf die Idee kommen musste, das gelockerte Fernbehandlungsverbot für eine niedrigschwellige digitale Dienstleistung in Sachen Krankenschein zu nutzen.
Multiple Choice statt ärztlicher Fragen
AU-Schein.de ist wirklich verblüffend simpel. Nach dem Aufruf der App sind gerade mal sieben kurze Fragen mit multiple Choice zu beantworten. Nach einem kurzen Risiko-Check in Sachen weitere Symptome geht es auch schon zur verschlüsselten Dateneingabe und anschließend an die Kasse. Neun Euro Servicegebühr will das Unternehmen, eine GmbH mit Sitz in Hamburg für diesen Dienst haben, der im Handumdrehen zu einem ärztlich und juristisch wasserdichten Krankenschein führen soll. Eine unverfrorene Einladung zum Blaumachen oder eine lang erwartete Entlastung für die überfüllten Arztpraxen?
Bedenken von der Ärzteschaft gegen Krankenschein-App
Vor allem die Ärztekammer in Schleswig-Holstein, die die ausführende Partnermedizinerin der App berufsrechtlich zu beaufsichtigen hat, meldet Bedenken an. Es sei zwar prinzipiell richtig, dass leichte medizinische fälle auch per Telemedizin versorgt werden könnten. Eine verantwortungsvolle Überführung des Arzt-Patient-Verhältnisses in das digitale Zeitalter sieht aber „nach Auffassung der Ärzteschaft anders aus“, so die Kammer in Kiel. Kritisch gesehen wird vor allem, dass das Angebot ganz um die kommerziell besonders attraktive "Freistellung von der Arbeit" zentriert ist. Ein Stellenangebot des Unternehmens sucht aktuell „mutige“ Mediziner, die auch mit Kritik von Kollegen und aus den Medien umgehen können und bieten dafür einen hohen Verdienst.
Einen kritischen Blick richtete auch das Magazin t3n auf den neuen Dienst. Die testenden Autoren stellten technische Mängel fest, die als Anlaufschwierigkeiten mittlerweile behoben worden sein sollen. In Sachen Datenschutz stieß den Testern der Fakt kritisch auf, dass durch den Whatsapp-Funktion in jedem Fall die Metadaten der sensiblen Kommunikation gespeichert bleiben – auf Servern des privaten Weltkonzerns facebook. Auch dieser Schwachpunkt soll nach Aussagen des Unternehmens bald durch einen eigenen Messengerdienst behoben sein, der unabhängig von Whatsapp funktionieren wird.
Stellungnahme der Arbeitgeber
Seit dem Start im Dezember sollen bereits mehr als 1000 Bestellungen eingegangen sein. Nach Angaben des betreibenden Unternehmens soll es keine Beanstandungen von Arbeitgebern gegeben haben. Trotzdem haben die Arbeitgeberverbände ein Problem mit einer allzu schnell ausgestellten Telekrankenschein. „Bei Krankschreibungen gilt grundsätzlich, dass sich Arbeitgeber auf die Beurteilung des bescheinigenden Arztes verlassen müssen.“, so der Dachverband BDA in einer Stellungnahme. Weil bei einer Krankschreibung aber nicht zu erkennen sei, ob diese digital diagnostiziert wurde, müsse sichergestellt bleiben, dass auch ohne einen persönlichen Arztkontakt „die gleichen zutreffenden Angaben über den Gesundheitszustand“ gemacht werden, so der Verband.
Bislang ist rechtlich noch nicht einmal geklärt, ob das Etikett „Telemedizin“ überhaupt gerechtfertigt ist. Denn schließlich gibt es nicht zwingend ein elektronisches Gespräch zwischen Arzt und Patient. Die App sendet den beantworteten Fragebogen einfach anonym an einen zugelassenen Partner-Arzt, der das Ganze kurz absegnen soll. Nur bei Verdacht auf Komplikationen oder andere Risiken ist ein direkter Chat vorgesehen.
Ärztekammer rät von Nutzung ab
Bislang gibt es gegen AU-schein.de keinen rechtlichen Vorbehalt. Das aber kann sich ändern, denn die juristischen Überprüfungen laufen noch. Die Ärztekammer in Schleswig Holstein rät im Moment generell von einer Nutzung des Dienstes ab: „Auch wenn in diesem Geschäftsmodell ein Quäntchen Zukunftsvision enthalten sein mag, die aktuelle Umsetzung ist nach bisherigem Kenntnisstand fraglich rechtskonform.“
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