Gesundheitspolitik der Parteien: CDU und CSU
WAHL Spezial: Interview mit Tino Sorge - Sprecher für Gesundheitspolitik der CDU/CSU BundestagsfraktionDie Beiträge für Krankenversicherte und Arbeitgeber steigen derzeit so stark an wie noch nie. Mit welchen Maßnahmen und Konzepten würden Sie die aktuelle Kostenlawine im Gesundheitsbereich eindämmen wollen?
Die kurzfristige Stabilisierung der Krankenkassen- und Pflegefinanzen ist die wohl dringlichste Aufgabe unserer nächsten Bundesregierung. Als Union möchten wir dem Defizit bei den versicherungsfremden Leistungen ein Ende setzen, allein dadurch würde in den Systemen ein zweistelliger Milliardenbetrag pro Jahr frei.
"Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die Ampel in dreieinhalb Jahren nicht eine einzige Reform verabschiedet hat, um die Finanzen der GKV und der Pflege tatsächlich nachhaltig zu stärken."
Auch über weitere Maßnahmen, beispielsweise eine Senkung der Mehrwertsteuer auf medizinische Güter, sollten wir mit den Ländern sprechen. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die Ampel in dreieinhalb Jahren nicht eine einzige Reform verabschiedet hat, um die Finanzen der GKV und der Pflege tatsächlich nachhaltig zu stärken. Mehr noch: Instrumente wie den Pflegevorsorgefonds hat man sogar auf Eis gelegt.
- Stabilisierung der GKV-Finanzen
- Stärkung geschlechtsspezifischer Medizin
- Sicherung von Lieferketten für Medikamente
- Mehr Wettbewerb der Krankenkassen, weniger Bürokratie
- Vereinfachung von Reha-Anträgen
- Digitalisierung im Einklang mit Datenschutz voranbringen
Angesichts der Teuerungskrise werden Vorschläge laut, die auf Abbau oder Ausgliederung von Kassenleistungen hinauslaufen. Wie offen sind CDU und CSU für Streichungen beim Leistungskatalog und wo wäre dabei eine rote Linie?
Die rote Linie ziehen wir beim Versprechen, dass allen GKV-Versicherten eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung zusteht. Diese Zusage muss immer Bestand haben, Kürzungen im Leistungskatalog möchte niemand. Stattdessen werden wir überprüfen müssen, ob die vorhandenen Ressourcen richtig genutzt werden. Wir sollten über ein höheres Maß an patientengerechter Steuerung sprechen, denn zu oft werden Facharzttermine und doppelte Untersuchungen in Anspruch genommen, die nicht notwendig wären.
"Kürzungen im Leistungskatalog möchte niemand."
Primärarztmodelle, bei denen zum Beispiel zuerst der Hausarzt konsultiert wird, könnten viele teure Doppeluntersuchungen oder unnötige Arztbesuche vermeiden. Ähnliches gilt für die Notfallversorgung, wo ein besonders hoher Anteil an nicht notwenigen, aber teuren Inanspruchnahmen zu verzeichnen ist. Wenn wir die heutige Versorgung besser steuern, können wir auf Streichungen in der Zukunft verzichten.
Unter der mittlerweile beendeten Ampel-Regierung wurde eine umfassende und auch umstrittene Krankenhausreform durchgesetzt. Sehen Sie Bedarf für Veränderungen an diesem Gesetz?
Bei dieser Reform ging es nie um das ‚Ob‘, denn die Notwendigkeit ist allen Beteiligten klar. Über das ‚Wie‘ müssen wir allerdings sprechen. Die Finanzierung des 50 Milliarden Euro schweren Transformationsfonds mithilfe von GKV-Beitragsgeldern ist nach Einschätzung namhafter Experten so nicht zulässig. Diesen Zustand der Rechtsunsicherheit müssen wir nach der Wahl schnellstens beenden. Nichts wäre schlimmer als eine Reform, die wegen einer rechtswidrigen Finanzierung in einigen Jahren vor Gericht für nichtig erklärt wird.
"Bei dieser Reform ging es nie um das ‚Ob‘, denn die Notwendigkeit ist allen Beteiligten klar. Über das ‚Wie‘ müssen wir allerdings sprechen."
Unabhängig davon werden wir rasch über eine Zwischenfinanzierung für jene Kliniken beraten müssen, die aktuell in Not sind, nach der Reform aber zwingend gebraucht werden. Auch an Ausnahmeregelungen für die Länder müssen wir arbeiten, damit diese den regionalen Versorgungsbedarfen besser gerecht werden können. Es war ein großer Fehler, dass der scheidende Bundesgesundheitsminister die Reform ohne Zustimmung der Bundesländer forciert hat, obwohl er ihnen zunächst das Gegenteil versprochen hatte.
Auch die Medikamentenversorgung erlebt eine handfeste Krise. Lieferengpässe in Apotheken gehören leider zum Alltag. Kann und sollte die Politik helfen, und wenn ja, wie?
Lieferengpässe sind ein bekanntes und wiederkehrendes Problem, dennoch wurde in der letzten Legislatur zu zaghaft gehandelt. Das System der Rabattverträge muss überarbeitet werden. Ausfallrisiken sollten künftig durch Mehrfachvergaben an mehr als nur einen Hersteller reduziert werden. Wir brauchen mehr Produktionsstätten in der EU und in Deutschland, statt uns auf fragile Lieferketten aus Indien und Asien zu verlassen. Bei der Beschaffung wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte muss Deutschland die Koordination mit unseren Nachbarländern verbessern, Frühwarnsysteme ausbauen.
"Wir brauchen mehr Produktionsstätten in der EU und in Deutschland, statt uns auf fragile Lieferketten aus Indien und Asien zu verlassen."
Viele dieser Maßnahmen, gerade zur Stärkung unseres europäischen Gesundheitsstandortes, werden Jahre brauchen, bis sie wirken. Darum müssen sie jetzt auf den Weg gebracht werden. Dazu gehört auch ein Neustart des von der Ampel auf Eis gelegten Pharmadialoges mit Herstellern, Apotheken und Großhändlern.
In Deutschland gibt es ein zweigleisiges System in der medizinischen Versorgung, abhängig vom Versichertenstatus. Welche perspektivische Zukunft sehen die Unionsparteien für die Private Krankenversicherung?
Diese Diskussion wird zuweilen polarisierter geführt, als es nötig wäre. Gerade in Wahlkampfzeiten werden gern Neiddebatten geschürt. Fakt ist: Mit der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung hat Deutschland zwei insgesamt sehr gut funktionierende System der Krankenversicherung, um die man uns vielerorts beneidet.
"An diesem dualen System halten wir fest."
Im internationalen Vergleich schneiden komplett staatliche Systeme und komplett private Systeme regelmäßig schlechter ab. Auch die Vorschläge einer ‚solidarischen Bürgerversicherung‘ halten nicht, was sie versprechen. Weder sind sie finanziell tragfähig, noch verbessern sie die Versorgung nachhaltig. An vielen Stellen ist es der Wettbewerb zwischen PKV und GKV, der die Versorgung voranbringt. An diesem dualen System halten wir fest.
Neben der Krankenversicherung steht auch die gesetzliche Pflegeversicherung vor großen finanziellen Herausforderungen. Wie will die Union den Pflegesektor stabilisieren?
Bis heute ist es absolut unverständlich, dass Karl Lauterbach einer Reform der Pflegefinanzierung im Frühjahr 2024 eine Absage erteilte – und dass er stattdessen im aktuellen Wahlkampf eine 1.000-Euro-Deckelung der Eigenanteile fordert. Lässt man solche Wahlkampfparolen außen vor, bleibt die pragmatische Erkenntnis, dass wir die Pflegefinanzierung auf ein neues Fundament stellen müssen. Anders als bisher werden wir mehrere Säulen brauchen, um die Pflege finanziell abzusichern: Steuermittel und die soziale Pflegeversicherung werden weiterhin eine Rolle spielen, aber nicht genügen.
"Bis heute ist es absolut unverständlich, dass Karl Lauterbach einer Reform der Pflegefinanzierung im Frühjahr 2024 eine Absage erteilte"
Auch zusätzliche betriebliche Angebote werden nötig sein, um einen weiteren Anstieg der Sozialbeiträge zu bremsen. Die IG BCE bietet dies bereits für über 400.000 Beschäftigte an. Und nicht zuletzt wird es auch mehr private Vorsorge in jungen Jahren brauchen, sofern man sie sich leisten kann. Das wird als Element der Eigenverantwortung unvermeidlich sein, denn Pflegebedürftigkeit im Alter ist ein erwartbares Lebensrisiko, das für nahezu alle Menschen eintreten kann. Es wird also eine Kombination mehrerer Säulen sein, mit der wir die Pflege zukunftsfest machen können.
Die Corona-Zeit hat uns vor Augen geführt, dass Krankheiten nicht vor Grenzen halt machen. Welche Rolle sehen Sie aus Sicht der Unionsparteien für Deutschland in der weltweiten Pandemievorsorge und Gesundheitszusammenarbeit?
Angesichts der weltweiten Herausforderungen durch Pandemien und andere Gesundheitsgefahren sind gemeinsame Antworten immer noch die besten Antworten. Auf globale Probleme kann nicht mit rein nationalen Lösungen reagiert werden. Deutschland nimmt hier eine zentrale Position ein, allein durch seine hohe wirtschaftliche und politische Vernetzung und sein langjähriges Engagement in Fragen der globalen Gesundheit und der Entwicklungszusammenarbeit. Kürzlich hat US-Präsident Donald Trump den Rückzug der USA aus der Weltgesundheitsorganisation angekündigt. Das ist kein Grund zur Panik, aber eine Chance, nötige Struktur- und Finanzreformen bei der WHO voranzutreiben und Deutschlands internationales Engagement weiterzuentwickeln.
WAHL Spezial 2025 - Gesundheitspolitik
>>> Interview mit Christine Aschenberg-Dugnus (FDP)
>>> Interview mit Jan-Peter Warnke (BSW)
>>> Interview mit Janosch Dahmen (GRÜNE)
>>> Interview mit Kathrin Vogler, DIE LINKE
>>> Interview mit Martin Siechert (AfD)
>>> Interview mit Heike Baehrens (SPD