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Bundestagswahl 2025

Gesundheitspolitik der Parteien: Was wollen die GRÜNEN?

Interview mit Janosch Dahmen - gesundheitspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion
veröffentlicht am 06.02.2025 von Redaktion krankenkasseninfo.de

Janosch Dahmen ( Bündnis 90 / Die Grünen ) Janosch Dahmen ( Bündnis 90 / Die Grünen )(c) Stefan Kaminski
Janosch Dahmen war klinischer Unfallchirurg und ärztlicher Leiter eines Rettungsdienstes, bevor er für die GRÜNEN in den Bundestag einzog. Im Interview erklärt er die Lösungsansätze seiner Partei für die Struktur- und Finanzierungsprobleme im deutschen Gesundheitswesen.

2025-02-06T12:29:00+00:00
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Die Beiträge für Krankenversicherte und Arbeitgeber steigen derzeit so stark an wie noch nie. Mit welchen Maßnahmen und Konzepten würden Sie die aktuelle Kostenlawine im Gesundheitsbereich eindämmen wollen?  

Wir müssen auf die Bezahlbarkeit unseres Krankenversicherungssystems achten und darum den Weg der Strukturreformen konsequent weiter gehen. Vor allem eine Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes würde hier einen wichtigen Beitrag für eine bessere und zugleich effizientere Versorgung schaffen. Experten schätzen das jährliche Einsparpotenzial durch die Reduktion medizinisch nichts sinnvoller Krankenhausbehandlungen auf circa 3 Milliarden Euro. Gleiches gilt auch bei der Primärversorgung, insbesondere der hausärztlichen Versorgung, wo Strukturreformen zu Effizienzverbesserungen und Einsparungen führen würden. Darüber hinaus können wir durch eine konsequente Digitalisierung und einem Ende der analogen Zettelwirtschaft unglaubliche Effizienzpotentiale heben.

"Auf längere Sicht kommen wir ohne eine solidarische Beteiligung aller an der Finanzierung unseres Gesundheitswesens nicht herum"

Die  GKV hat aber auch ein strukturelles Einnahmeproblem. Daran trägt auch der Staat eine erhebliche Verantwortung. Er hat der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten Aufgaben wie die Gesundheitsversorgung der Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld übertragen, die er nicht fair finanziert. Hier müssen wir endlich vorankommen und diesen Trend umkehren. Im Koalitionsvertrag der Ampel hatten wir das eigentlich fest vereinbart. Das Vorhaben wurde jedoch von Lindner und Scholz hintertrieben und konnte nicht umgesetzt werden. Auf längere Sicht kommen wir ohne eine solidarische Beteiligung aller an der Finanzierung unseres Gesundheitswesens nicht herum.

 

Gesundheitspolitische Forderungen im Wahlprogamm der GRÜNEN


- Mehr Sprechstundenzeiten für gesetzlich Versicherte
- 35-Stundenwoche für Pflegekräfte bei vollem Lohnausgleich
-
Schaffung von mehr Psychotherapieplätzen
- Förderung europäischer Arzneimittelhersteller

- Konzept "Gesundheitsregionen" zur besseren Versorgung auf dem Land
- Ausbau der Gesetze zum Pandemieschutz

 

Angesichts der Teuerungskrise werden Vorschläge laut, die auf Abbau oder Ausgliederung von Kassenleistungen hinauslaufen. Wie offen sind die GRÜNEN heute für Streichungen beim Leistungskatalog und wo wäre dabei die Rote Linie?

Wenn man sich internationale Zahlen anschaut, sieht man schnell: das deutsche Gesundheitswesen hat ein Effizienzproblem. Wir geben spitzenmäßig viel Geld aus, bei den Ergebnissen sind wir aber nur Mittelmaß. Das wollen wir ändern. 

"Wir geben spitzenmäßig viel Geld aus, bei den Ergebnissen sind wir aber nur Mittelmaß."

Und dann werden wir sehen, dass es keinen Bedarf für den Abbau von Kassenleistungen gibt. Viel wichtiger als eine Debatte über Leistungskürzungen ist doch außerdem, dass wir dafür sorgen, dass der Zugang zu Arztterminen sich wieder an der medizinischen Dringlichkeit orientiert, nicht am Versichertenstatus oder der Lukrativität der abzurechnenden Leistung.

Als Teil der mittlerweile beendeten Ampel-Regierung haben die GRÜNEN eine umfassende und auch umstrittene Krankenhausreform durchgesetzt. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden oder sehen Sie Bedarf für Änderungen oder Nachbesserungen an diesem Gesetz?  

Ich bin sehr froh, dass die Union mit ihrer Blockadestrategie gegen die Krankenhausreform im Bundesrat keinen Erfolg hatte. Die Reform ist die wichtigste Strukturveränderung der vergangenen 15 Jahre. Wäre sie gescheitert, wäre ein unkontrolliertes Sterben von Krankenhäusern vor allem auf dem Land die Folge gewesen. Wir haben in den Verhandlungen zwischen den Koalitionsfraktionen umfangreiche Evaluierungsregelungen durchgesetzt. 

"Ich bin sehr froh, dass die Union mit ihrer Blockadestrategie gegen die Krankenhausreform im Bundesrat keinen Erfolg hatte."

Da wird man dann sehen, wo nachgesteuert werden muss, um das intendierte Ziel zu erreichen. Auch werden wir darauf achten, dass der vereinbarte Mechanismus im Falle einer nicht ausreichenden Beteiligung der PKV an den Kosten der Transformation in Kraft gesetzt wird. Der Erfolg dieser Reform basiert auch auf ihrer Akzeptanz. Und die würde man gefährden, wenn es zu einer unsolidarischen Finanzierung käme.

Auch die Medikamentenversorgung erlebt eine handfeste Krise. Lieferengpässe in Apotheken gehören leider zum Alltag. Kann und sollte die Politik helfen, und wenn ja, wie?

Wenn Eltern verzweifelt von Apotheke zu Apotheke rennen, weil das nötige Fiebermittel für ihr Kind nicht lieferbar ist, dann ist es die Pflicht der Politik zu handeln und nicht auf die Selbstverwaltung oder den Pabst zu verweisen. Darum bin ich froh, dass wir als Koalition zügig gehandelt haben. Durch das ALBVVG müssen jetzt größere Vorräte bei den Herstellern angelegt werden, Apotheken bekommen Anreize, schneller zu reagieren und Ersatz zu beschaffen. Wir haben auch einiges getan, um den Pharmastandort Deutschland zu stärken und die Herstellung von Wirkstoffen nach Deutschland oder Europa zu holen. 

"Wenn Eltern verzweifelt von Apotheke zu Apotheke rennen, weil das nötige Fiebermittel für ihr Kind nicht lieferbar ist, dann ist es die Pflicht der Politik zu handeln."

Vor allem bei den wichtigen Medikamenten der Grundversorgung müssen wir noch mehr tun. Ich sehe hier vor allem die Rabattverträge, bei denen wir Veränderungen erreichen müssen, damit nicht ein ruinöser Preiswettbewerb die Versorgung gefährdet. Das wird sicher nicht einfach, denn die Rabattverträge entlasten die Krankenkassen pro Jahr um 5 Milliarden Euro.Wir müssen jedoch auch die Ausgaben für Arzneimittel im Blick behalten. Dort erleben wir eine enorme Preisexplosion, der wir durch eine Weiterentwicklung der Arzneimittel-Bepreisung und -finanzierung entgegenwirken müssen.

In Deutschland gibt es ein zweigleisiges System in der medizinischen Versorgung, abhängig vom Versichertenstatus. Welche perspektivische Zukunft sehen die GRÜNEN für die Private Krankenversicherung vor?

Das in Deutschland bestehende duale System ist weltweit nahezu einmalig. Bekäme man die Chance, ein neues System auf der grünen Wiese aufzubauen, würde es die unsinnige Trennung von GKV und PKV sicher nicht geben. Wir müssen aber Politik nicht in der Theorie, sondern für die Wirklichkeit machen, und deshalb ist es richtig in einem ersten Schritt auf eine solidarische Beteiligung aller Einkommensarten an der Finanzierung unseres Gesundheitswesens hinzuwirken. Gleichzeitig ist unser Anspruch, dass alle Menschen verlässlich abgesichert sind, egal ob sie in der Barmer oder in der Barmenia sind. 

"Bekäme man die Chance, ein neues System auf der grünen Wiese aufzubauen, würde es die unsinnige Trennung von GKV und PKV sicher nicht geben."

In einer solchen Bürgerversicherung mit einem solidarischen Ausgleich hätten sowohl die gesetzliche als auch die private Krankenversicherung ihren Platz. Klar ist doch auch, dass beide Versicherungszweige vor dem identischen Zukunftsproblem stehen, nämlich wie die vor allem durch den medizinischen Fortschritt steigenden Gesundheitskosten so finanziert werden, dass jeder Versicherte weiterhin gut und bezahlbar abgesichert ist.

Neben der Krankenversicherung steht auch die gesetzliche Pflegeversicherung vor großen finanziellen Herausforderungen. Wie wollen die GRÜNEN den Pflegesektor stabilisieren?    

Auch hier hat der Staat seinen Teil zu der schwierigen Situation beigetragen. Er hat der Pflegeversicherung eigene Aufgaben zugewiesen und sich nicht um die Finanzierung gekümmert. Das betrifft etwa pandemiebedingte Ausgaben aber auch die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige. Im Koalitionsvertrag hatten wir vereinbart, dass der Bund diese Kosten übernimmt. Auch hier hat Christian Lindner die eigentlich vereinbarte Umsetzung blockiert. 

"Langfristig muss auch hier das Ziel sein, dass wir eine Pflegebürgerversicherung einführen."

Wie bei der Krankenversicherung wollen wir auch bei der Pflegeversicherung den Trend umkehren, dass der Staat sich auf Kosten der Sozialversicherung saniert. Mittelfristig werden wir nicht um eine Finanzreform in der Pflegeversicherung herumkommen, müssen einen Ausgleich zwischen dem privaten und gesetzlichen Zweig der Pflegeversicherung herbeiführen und langfristig muss auch hier das Ziel sein, dass wir eine Pflegebürgerversicherung einführen.

Die Corona-Zeit hat uns vor Augen geführt, dass Krankheiten nicht vor Grenzen halt machen. Welche Rolle sehen die GRÜNEN für Deutschland in der weltweiten Pandemievorsorge und Gesundheitszusammenarbeit?  

Mit dem Klimawandel steigt das Risiko für den Ausbruch von Pandemien und Naturkatastrophen werden häufiger. Hinzu kommt eine immer angespanntere Sicherheitslage auf der Welt. Daher müssten gerade der medizinische Bevölkerungsschutz und die Bedeutung internationaler Organisationen wie der WHO zunehmen. Gleichzeitig werden internationale Organisationen vor allem durch Trump in den kommenden Jahren massiv unter Druck geraten. 

"Es ist einer der wichtigen Aufgaben der kommenden Wahlperiode, dem medizinischen Bevölkerungsschutz endlich den notwendigen gesetzlichen Rahmen zu geben."

Hier kommt es darauf an, dass wir in Deutschland weiterhin unserer Verantwortung gerecht werden und internationale Organisationen und Hilfsmechanismen ausreichend unterstützen. Daneben müssen wir auch mehr tun, um uns in Deutschland selbst auf solche Ereignisse besser vorzubereiten. Im Koalitionsvertrag hatten wir zu diesem Zweck ein Gesundheitssicherstellungsgesetz vereinbart, das nun leider nicht mehr kommen wird. Es ist einer der wichtigen Aufgaben der kommenden Wahlperiode, dem medizinischen Bevölkerungsschutz endlich den notwendigen gesetzlichen Rahmen zu geben.

 

Wahlprogramm Bündnis 90 / Die Grünen zur Bundestagswahl 2025 

 


WAHL Spezial 2025 - Gesundheitspolitik

 

"Leistungen, die sich nicht bewährt haben, streichen wir aus dem Leistungskatalog."
>>> Interview mit Christine Aschenberg-Dugnus (FDP)

 

 

"Kein Flickwerk mehr am alten System“
>>> Interview mit Jan-Peter Warnke (BSW)

 

 

 

"Die AfD lehnt Kopfpauschalen und Bürgerversicherung ab"
>>> Interview mit Martin Siechert (AfD)

 

 

 

"Für eine gerechte Verteilung der Lasten"
>>> Interview mit Kathrin Vogler, DIE LINKE

 

 

 

  "Kürzungen im Leistungskatalog möchte niemand"
>>> Interview mit Tino Sorge (CDU)

 

 

 

"Wir halten am Ziel einer Bürgerversicherung fest"
>>> Interview mit Heike Baehrens (SPD

 

 

 

 

 

 

 

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