Hauptregion der Seite anspringen
Digitalisierung

"Hat die ePA etwa eine Schweigepflicht?" Zweifel und Kritik an der Patientenakte

Interview mit Dr. Bernd Hontschik - Chirurg, Autor und Herausgeber
veröffentlicht am 06.12.2024 von Redaktion krankenkasseninfo.de

Dr. Bernd HontschikDr. Bernd Hontschik
Der Chirurg und Sachbuchautor Dr. Bernd Hontschik gehört zu den renommiertesten Kritikern der elektronischen Patientenakte. Im Interview erklärt der engagierte Publizist seine Gründe und verrät, warum er seinen Patienten und allen Versicherten zum Widerpruch rät.   

2024-12-06T13:03:00+00:00
Werbung

Herr Dr. Hontschik, als Mediziner haben Sie öffentlich den Nutzen der Patientenakte stark in Zweifel gestellt und sprechen sogar von Märchen. Woher rührt ihre starke Skepsis an der datenbasierten Digitalisierung?

Für die elektronische Patientenakte wird sehr viel Werbung gemacht. Ein großer Vorteil sei die Möglichkeit, dass man mit den Daten die medizinische Forschung voranbringen könne. Diese Daten taugen allerdings nicht viel, denn im Bereich der niedergelassenen Medizin werden viele Diagnosen verändert, um höhere Vergütungen zu erreichen.

Die Fallpauschalen verführen zu Lug und Trug. Und mit diesen Daten will man forschen?

Noch eklatanter ist das im Krankenhaus. Die Fallpauschalen verführen zu Lug und Trug. Nicht umsonst sind Legionen von Angestellten in den Krankenhäusern mit dem Verschlüsseln und Aufhübschen von Krankheiten und Operationen beschäftigt, ebenso viele sind im Auftrag der Krankenkassen damit beschäftigt, den Krankenhäusern diese Manipulationen nachzuweisen und zusammenzustreichen. Und mit diesen Daten will man forschen?

Halten Sie digital verfügbare Befunde, Anamnesen, Medikationslisten und Notfalldaten denn nicht für einen sinnvollen Fortschritt?

In der Medizin, wie ich sie mir vorstelle, ist die Anamnese ein wichtiger und seriöser Startpunkt aller diagnostischen und therapeutischen Überlegungen. Die Erhebung der Anamnese wird durch das Aufrufen der digitalisierten Krankengeschichte ersetzt, die schlussendlich von einer KI erstellt werden soll, was nichts anderes bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte immer mehr oder nur noch mit dem Bildschirm kommunizieren und nicht mit den Kranken.

"Warum muss das zentral gespeichert werden? Warum nicht auf jedermanns Gesundheitskarte?"

Natürlich ist es von Vorteil, wenn möglichst viele Informationen aus der Krankengeschichte - ob digitalisiert oder nicht - bei einer Konsultation aktuell verfügbar sind, das kann im Ernst niemand bestreiten. Aber warum muss das zentral gespeichert werden? Warum nicht auf jedermanns Gesundheitskarte? Warum muss das in einen „Europäischen Gesundheitsdatenraum“ eingespeist werden, womit es sich völlig jeder Kontrolle entzieht?

Ihre Kritik basiert zu großen Teilen auf Ihren Erfahrungen mit dem Fallpauschalensystem in Kliniken. Die Bundesregierung hat dieses System aber gerade abgeschafft. Ergeben sich dadurch nicht auch wirksame Pluspunkte beim Einsatz der ePA?     

Es ist überhaupt nicht wahr, dass das Fallpauschalensystem abgeschafft worden ist. Es existiert unverändert weiter. Es ist lediglich für die Abrechnungsrelevanz teilweise zurückgedrängt und mit Vorhaltepauschalen ergänzt worden. Diese sind wiederum mit Mindestanforderungen an die Fallzahlen eines Krankenhauses verbunden, die teilweise nicht zu erfüllen sind und zu einem Insolvenz-Sterben vieler Krankenhäuser führen wird - was im übrigen schon längst Fahrt aufgenommen hat. Mit dem Einsatz einer ePA sehe ich dabei gar keinen Zusammenhang.

Welche Gefahren sehen Sie in Bezug auf die ärztliche Schweigepflicht und das Arztgeheimnis, wenn Gesundheitsdaten wie vorgesehen auf zentralen Servern gespeichert werden sollen?   

Alle Angaben über Gesundheit gelangen mit der ePA schlagartig außerhalb des Raumes, in den sie eigentlich gehören. Die Daten verlassen definitiv und unzurückholbar den vertrauensvoll vertraulichen Raum zwischen Arzt und Patient. Aber nur in diesem Raum kann es ein Arztgeheimnis geben. Hat die ePA etwa eine Schweigepflicht? Die zentrale Speicherung dieser Daten geschieht ja zum Zweck ihrer Verwendung durch Wissenschaft, Industrie, Krankenkassen und Politik. Niemand weiß also, was mit diesen Daten wirklich passiert.

"Die Daten verlassen definitiv und unzurückholbar den vertrauensvoll vertraulichen Raum zwischen Arzt und Patient."

Schon stehen die ersten Interessenten Schlange und melden ihr Interesse an: Google, Meta, OpenAI usw. Und abgesehen davon wäre diese zentrale Speicherung die erste, die nicht geknackt, nicht gehackt werden kann. Die Versicherung des absoluten Schutzes der Daten der ePA vor unerlaubten oder gar kriminellen Zugriffen ist angesichts der täglichen Datenskandale einfach nur lächerlich.

Die verpflichtende Einführung der Patientenakte ist beschlossen. Wie gehen Sie als Kritiker in Ihrem Praxisalltag nun damit um und was raten Sie kritischen Patientinnen und Patienten? 

Da wir alle ja nicht um eine Einverständniserklärung mit einer Teilnahme an der ePA gebeten worden sind, sondern mit der sogenannten opt-out-Regelung unser aller Einverständnis vorausgesetzt, also ergaunert wurde, empfehle ich allen meinen Patient:innen, allen meinen Bekannten und jeder und jedem, der mich danach fragt, Widerspruch gegen die Verwendung ihrer Daten für die ePA einzulegen.

weiterführende Links:

Homepage von Dr. Bernd Hontschik

Verein Patientenrechte-Datenschutz e.V.

Buchtipp

Andreas Meißner: "Die elektronische Patientenakte. Das Ende der Schweigepflicht"
 

 

Weiterführende Artikel:

 

 

Bewerten Sie uns 4,8 / 5
https://www.krankenkasseninfo.de

14488 Besucher haben in den letzten 12 Monaten eine Bewertung abgegeben.

Kategorien