„Gläserner Staat" statt „gläserne Bürger“ - Interview mit Sandra Leurs von der Piratenpartei
WAHL-SPEZIAL mit den gesundheitpolitischen Sprechern der Parteien und Fraktionenkrankenkasseninfo: Den gesetzlich Versicherten drohen weiter steigende Beiträge - trotz Milliardenzuschüssen für die Krankenkassen aus dem Bundeshaushalt. Wie würden die PIRATEN die Finanzierung im Gesundheitswesen organisieren wollen?
Sandra Leurs: Die Piratenpartei Deutschland will eine solidarische Krankenversicherung herbei führen, in der alle Steuerzahler, Beamte sowie wie Menschen die mehr verdienen als die Beitragbemessungsgrenze vorgibt, einzahlen. Die Privaten Krankenversicherungen sollen dabei erhalten bleiben. Und so fern es der eigenen Geldbeutel es zulässt, kann sie zusätzlich abgeschlossen werden.
krankenkasseninfo: Die GroKo hat mit mehreren Gesetzen die digitale Vernetzung im Gesundheitssektor durchgesetzt. Unverschlüsselte Daten von Millionen Versicherten sollen zentral gespeichert werden und der Forschung zur Verfügung stehen. Wie beurteilt die Piratenpartei dieses Projekt?
Sandra Leurs: Die Piratenpartei befürwortet den „ gläsernen Staat „, aber nicht den „gläsernen Bürger“. Gesundheitsdaten der Menschen sind hochsensible Daten, die auch missbräuchlich genutzt werden könnten.
"Daten müssen so gesichert werden, dass nicht einfach in Zukunft ein Arbeitgeber an die Gesundheitsdaten eines potenziellen Arbeitnehmers kommt."
Deshalb müssen diese Daten so gesichert werden, das nicht einfach in Zukunft ein Arbeitgeber an die Gesundheitsdaten eines potenziellen Arbeitnehmers kommt. Gleichzeitig müssen die Daten so anonymisiert werden, dass die Daten von der Wissenschaft genutzt werden können, ohne dass ein Schaden für jeden Bürger entsteht.
krankenkasseninfo: Die Anzahl der Krankenkassen sinkt beständig, weshalb auch der Wettbewerb zwischen ihnen sich ausdünnt und die Transparenz bei Leistungen und Qualität auf der Strecke bleibt. Wie steht die Piratenpartei zu Vielfalt, Wahlfreiheit und Wettbewerb von Krankenkassen?
Sandra Leurs: Der Piratenpartei Deutschland liegt es am Herzen der Bürokratie in Deutschland ein Ende zu setzten. Eine Bürgerversicherung für alle, anstatt hunderte einzelner Krankenkassen wäre von Vorteil. So lässt sich leichter Transparent für Leistungen und die Evidenz von Leistungen besser überprüfen.
krankenkasseninfo: Mit dem Masernschutzgesetz schuf die Große Koalition erstmals seit 1976 wieder eine Impfpflicht per Gesetz. Bei Nichteinhaltung drohen Eltern oder betreuenden empfindliche Strafen. Gehört die Freiwilligkeit von Impfungen zu den gesundheitspolitischen Grundsätzen der Piratenpartei?
Sandra Leurs: Eine Impfpflicht bewegt sich im Spannungsfeld zwischen dem Gesundheitsschutz der Gemeinschaft und der individuellen körperlichen Unversehrtheit. Ein Eingriff in die Grundrechte muss daher gut begründet sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat geurteilt, dass eine Impfpflicht verhältnismäßig sei. Beim Bundesverfassungsgericht ist aktuell noch ein Verfahren zur Masern-Impfpflicht anhängig.
"Eine Impfpflicht oder eine Impfpflicht durch die Hintertüre lehnen wir ab."
Was zur Coronaimpfung zu sagen wäre ist, dass wir erst dann die Pandemie in den Griff bekommen, wenn 95 Prozent der Menschen geimpft sind. Wenn die Menschen sich nicht impfen lassen, laufen wir Gefahr weitere Mutanten zu züchten. Und irgendwann wird sich ein Mutant des Coronavirus so verändern, das wir uns und den Menschen dieser Welt nicht mehr helfen können. Wir müssen die Menschen also überzeugen, dass die Impfung sehr wichtig ist. Eine Impfpflicht oder eine Impfpflicht durch die Hintertüre lehnen wir ab.
krankenkasseninfo: Die Piratenpartei gehörte zu den Stimmen, die eine Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe forderten. Mit welchen Argumenten würden die PIRATEN dafür streiten wollen?
Sandra Leurs: Die Aussetzung des Patentschutzes für Coronaimpfstoffe trifft in der deutschen Politik auf wenig Zustimmung. Es wird argumentiert, der Patentschutz sei der Schutz von geistigem Eigentum und Quelle der Innovation. Allerdings wurde die Entwicklung der Impfstoffe vor allem mit Steuergeldern vorangetrieben.
"Die Piratenpartei fordert schon lange eine grundlegende Reform des Patentwesens, auch um in Situationen wie einer Pandemie schnellstmöglich reagieren zu können."
Schon deshalb sollte die Allgemeinheit einen Anspruch auf diese Impfstoffe haben, unabhängig von den Firmen, die die Patente halten. Die Piratenpartei fordert schon lange eine grundlegende Reform des Patentwesens, auch um in Situationen wie einer Pandemie schnellstmöglich reagieren zu können. Die Pandemie wird erst ganz vorbei sein, wenn das Virus global eingedämmt wurde. Hier ist Solidarität gefragt. Um weltweit Produktionstätten aufbauen zu können und Exporte von Impfstoffen in die schwer betroffenen Länder anzukurbeln, müssen wir die Möglichkeit der Patentaussetzung in Betracht ziehen.
krankenkasseninfo: Trotz einer anhaltenden Pandemie und Überlastungen im stationären Pflegesektor ist in der Bundesrepublik der Ruf nach Klinikschließungen zu hören, oftmals ummantelt mit der Forderung nach Spezialisierung und Effizienz. Was würden Sie als Pflegeexpertin denjenigen antworten wollen, die sich für Bettanabbau im öffentlichen Krankenhaussektor einsetzen?
Sandra Leurs: Gewinnmaximierung im Gesundheitswesen ist auf jeden Fall Einhalt zu gebieten, denn Gesundheit ist keine Ware. Klinikschließungen vor allem im ländlichen Bereich können sich fatal auswirken. Die Menschen die auf dem Land wohnen, brauchen genau die selbe Gesundheitsversorgung, wie die Menschen die in Innenstädten von Großstädten wohnen. Das Gleichberechtigungsprinzip, wird hier mit Füssen getreten. Das sich etwas ändern muss, steht außer Frage. Das wie, darüber wollen wir debattieren. Da sind wohl Klinikschließungen erst mal der falsche Weg.
-->Wahlprogramm der PIRATENPARTEI
WAHL SPEZIAL 2021
Im WAHL-SPEZIAL antworteten weitere Parteien u.a. alle im Bundestag vertretenen sowie Volt, ÖDP, Freie Wähler und Graue Panther.
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