"Die Beweislage für notwendiges Umdenken ist erdrückend"
Andreas Schöfbeck initiierte als Vorstand der ProVita BKK erfolgreich eine gelebte Nachhaltigkeits-AgendaHerr Schöfbeck, die BKK ProVita scheint so etwas wie ein Nachhaltigkeits-Pionier unter den Krankenkassen zu sein. Welche besonderen Anstrengungen waren und sind eigentlich nötig, um eine solche Vorreiterrolle erfüllen zu können - oder ist dieser Weg gar nicht so schwer?
Zunächst musste ich mir im Klaren darüber sein, worum es mir geht und ich musste verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Ich habe das untrennbare Zusammenspiel zwischen persönlicher und planetarer Gesundheit („Planetary Health“) verstanden. Dann habe ich überlegt, welchen Beitrag ich persönlich und als Vorstand der BKK ProVita leisten kann.
"Alles hängt mit allem zusammen"
Erst stieß ich auf Unverständnis und für die Umsetzung war viel Überzeugungsarbeit nötig – zunächst intern bei meinen Kolleg*innen und beim Verwaltungsrat und dann auch extern. Die BKK ProVita musste Pionierarbeit leisten und hat in der Branche den Weg geebnet, so dass es Nachahmer und Mitstreiter leichter haben werden. Heute sehen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Viele Menschen erkennen nun den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Nachhaltigkeit. Das macht uns erfolgreich.
Als bislang einzige deutsche Krankenkasse haben Sie sich der Bewegung‚ Gemeinwohl-Ökonomie‘ angeschlossen. Welchen Zielen – neben dem der Gesundheit – fühlen Sie sich im Sinne des Gemeinwohls besonders verbunden?
Bei der Gemeinwohl-Ökonomie geht es sowohl um Nachhaltigkeit als auch um ein faires Miteinander mit allen Berührungsgruppen eines Unternehmens. Das sind Kunden, Mitarbeiter*innen, Geschäftspartner und gesellschaftliches Umfeld. Die Matrix zur Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz liefert viele Anregungen für ein gemeinwohlorientiertes Handeln und ermöglicht ein strukturiertes Vorgehen in einem Unternehmen. Verbunden fühle ich mich vor allem mit der Überzeugung der Ganzheitlichkeit – alles hängt mit allem zusammen.
Die Bewertungsmatrix der Gemeinwohl-Ökonomie verfolgt diesen ganzheitlichen Ansatz, auf den wir auch bei der planetaren Gesundheit stoßen. Zudem gefällt es mir, dass verschiedenste Organisationen Verantwortung übernehmen und freiwillig einen Beitrag für das Gemeinwohl leisten. Die offene und einfache Struktur der jungen Gemeinwohlbewegung ermöglicht direkte Mitwirkung und ist frei von wirtschaftlichen und politischen Einflussnahmen.
Unter dem Stichwort „Hufeland-Leistungsverzeichnis“ bieten Sie ihren Versicherten eine Teilerstattung für Methoden wie Ayurveda, Feldenkrais oder Kinesiologie an. Sind darüber hinaus tatsächlich alle in diesem Verzeichnis aufgeführten Naturheilverfahren eingeschlossen?
Ja, alle in diesem Verzeichnis aufgelisteten naturheilkundlichen Leistungen können über den zweckgebundenen Bonus unseres Bonusprogrammes BKK BonusPlus bei uns abgerechnet werden.
Wie viel Freiheit haben Sie eigentlich bei der inhaltlichen Gestaltung ihrer Bonusprogramme? Anders gefragt: Gibt es neben der pflanzlichen Ernährung weitere Lebensstil-Aspekte, die Sie in Zukunft gern auch belohnen würden?
Grundsätzlich ist jedes Bonusprogramm durch unsere Aufsichtsbehörde, das Bundesversicherungsamt, genehmigungspflichtig. Und natürlich fördern wir auch – ganz im Sinne der ganzheitlichen Gesundheit – weitere Lebensstil-Aspekte. In unseren beiden Bonusprogrammen BKK BonusPlus für gesunde Lebensführung und BKK BonusPlus Kids für Kinder unterstützen wir gesundheitsbewusstes Verhalten.
Unsere Versicherten können durch bestimmte Sport- und Vorsorgemaßnahmen, wie z. B. aktive Mitgliedschaft im Sportverein oder zahnärztliche Vorsorgeuntersuchung, einen Bonusanspruch in Höhe von bis zu 250 Euro pro Jahr erwerben. Mit diesem werden die Kosten für verschiedene gesundheitsfördernde Aktivitäten oder Hilfsmittel erstattet. Dazu zählen bei der BKK ProVita unter anderem die Mitgliedsgebühr bei Sportverein oder Fitnessstudio, professionelle Zahnreinigung und Fitness-Tracker. Nähere Informationen bietet die BKK ProVita unter www.bkk-provita.de/bonusprogramm-bkk-bonusplus.
Seit 2017 dürfen auch gesetzliche Krankenkassen einen Teil ihrer Reserven an den Aktienmärkten anlegen. Wie genau läuft der Ethik Check ab, den sie als BKK ProVita dafür freiwillig vornehmen lassen?
Grundsätzlich dürfen Krankenkassen lediglich das Deckungskapital für Altersversorgungsverpflichtungen in Aktien anlegen. Dieses Kapital haben wir nicht in Aktien, sondern bei einer Pensionskasse angelegt. Wir achten bei der Wahl unserer Geschäftspartner darauf, dass sie unsere Werte mittragen. Deshalb prüfen wir bei unseren sonstigen Geldanlagen, die allerdings nicht auf dem Aktienmarkt angelegt werden dürfen, die ethische Haltung durch eine Abfrage bei BankTrack. Zu diesem Thema nehmen wir auch ausführlich in unseren Gemeinwohl-Bilanzen Stellung.
Bei einer Anzahl von 73 Millionen können wohl nicht alle GKV-Versicherten gleich zur BKK ProVita wechseln. Wie können die anderen ihrer eigenen Kasse „Beine machen“ in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit?
Die Beweislage für notwendiges Umdenken ist erdrückend. Eigentlich sollte man niemandem mehr „Beine machen“ müssen. Ich stelle aber immer wieder fest, dass noch viele Verbesserungen möglich und auch nötig sind. So ein Prozess beginnt immer erst bei einem selbst. Wenn man sich mit bestimmten Fragen, wie „Welche Auswirkungen hat mein persönliches Handeln?“ oder „Wem vertraue ich meine Gesundheit an?“ auseinandersetzt, wird ein Transformationsprozess angestoßen, der nicht vor dem Arbeitgeber, einem Geschäftspartner oder Dienstleister Halt macht.
"Jeder kann einen Beitrag leisten"
Wir forderten zum Beipsiel als Kunde, Gesellschafter und Aufsichtsratsmitglied bei unserem Dienstleister spektrumK, dass Nachhaltigkeit in die Vergaberichtlinien für Arzneimittel-Rabattverträge einfließt. Daraufhin wurde ein Workshop mit ProGenerika, dem Verband der Generika- und Biosimilarunternehmen in Deutschland, durchgeführt.
Jeder kann einen Beitrag leisten, indem er sich bei seinen Partnern oder Dienstleistern erkundigt, wie nachhaltig und ethisch korrekt sie sich verhalten. So erkennen Unternehmen, dass sie in diesem Bereich aktiv werden müssen, um attraktive Geschäftspartner zu sein. Wir freuen uns, wenn es Weggefährten gibt und damit unsere Anliegen verbreitet werden.
Herr Schöfbeck, wir bedanken uns für das Gespräch.
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Die BKK advita ist die erste und einzige umweltzertifizierte Krankenkasse in Deutschland. Im Oktober 2017 fusionierte sie mit der BKK24 unter deren Namen. Auch wenn die BKK advita jetzt in der BKK24 aufgegangen ist, hat umweltbewusstes Handeln noch immer höchste Priorität. -
Gericht verbot Krankenkasse Extra-Vorsorgeleistungen für Vegetarier
Gesetzlichen Krankenkassen ist es nicht gestattet, in ihren Satzungen zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen für Veganer und Vegetarier aufzunehmen. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 02. Juni 2016 entschieden.