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Kieferorthopädie und Zahnspangen

"Die Sorge von Eltern darf nicht ausgenutzt werden"

Achim Kessler (DIE LINKE) fordert ein Umdenken bei der milliardenschweren Kassenleistung Kieferorthopädie
veröffentlicht am 17.01.2019 von Redaktion krankenkasseninfo.de

Achim Kessler Achim Kessler(c) Benjamin Gross
Jedes zweite Kind erhält in Deutschland eine Zahnspange. Die Kosten dafür bekommen die Eltern nur dann erstattet, wenn diese konsequent und über Jahre getragen wird. Nachdem eine Studie nun die Zweifel am medizinischen Nutzen bestätigt hat, wächst die Kritik an diesem Milliardengeschäft. Achim Kessler, Sprecher für Gesundheitsökonomie der Linken im Bundestag, fordert ein Umdenken.    

2019-01-17T12:37:00+00:00
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Seit 1972 bezahlen die Krankenkassen das Anfertigen und Einsetzen von Zahnspangen. Nun haben die jährlichen Ausgaben dafür die Milliardengrenze überschritten. Ist Kieferorthopädie nun deswegen von heute auf morgen sinnloser Luxus?

Die kieferorthopädische Behandlung gerade von Kindern und Jugendlichen ist kein Luxus. Auch künftig muss den Betroffenen unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten eine hochwertige medizinische Behandlung garantiert und von den Krankenkassen vollständig finanziert werden.

"Anstatt die Versorgung einzuschränken muss die Preissteigerung begrenzt werden"

Die als Argument für eine Neuregelung der Erstattungskataloges angeführte Steigerung der Ausgaben für kieferorthopädische Leistungen auf über 1,1 Milliarden Euro ist nicht auf eine höhere Patientenzahl zurückzuführen, sondern Resultat von deutlich gestiegenen Honoraren der Kieferorthopäden. Anstatt die Versorgung einzuschränken muss die Preissteigerung begrenzt werden, damit eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Versorgung mit Zahnspangen sichergestellt werden kann.

Auch wenn der langfristige medizinische Nutzen derzeit in Frage gestellt wird, gehört ein ebenmäßiges Gebiss doch sicherlich zu einer erstrebenswerten Lebensqualität. Warum soll nun gerade die Kassenleistung "Korrekturspange" verschwinden?

Ich bin dagegen, die „Korrekturspange“ aus dem Leistungskatalog zu streichen. Aber es muss klar sein, dass für die jeweilige Diagnose auch die geeignete Behandlung verordnet wird. Und es muss sichergestellt sein, dass die angewendete Behandlungsmethode auch zu den gewünschten Ergebnissen führt.

"Behandlungen mit losen Spangen dauern oft viele Jahre. Ihr Nutzen ist nicht wirklich nachgewiesen."

Nehmen wir das Beispiel loser Zahnspangen, die ja sehr viele Kinder tragen. Dazu hat der Sachverständigenrat zur Entwicklung im Gesundheitswesen schon im Jahr 2001 kritisiert, dass in Deutschland immer noch herausnehmbare Spangen dominieren, obwohl feste Spangen zu einem besseren Ergebnis führen. Behandlungen mit losen Spangen dauern oft viele Jahre. Ihr Nutzen ist nicht wirklich nachgewiesen. Es ist zu bedenken, dass solche langen Behandlungen für Kinder eine große Belastung sind.

Grundsätzlich, und das wird ja auch in dem neuen Bericht zur Kieferorthopädie dargestellt, fehlen gute und belastbare Studien in diesem Bereich. Hier sehe ich im Interesse der Patientinnen und Patienten, aber auch der Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden dringenden Handlungsbedarf.

In jüngster Zeit wird an weiteren etablierten, auch freiwilligen Kassenleistungen gezweifelt und diese auch politisch zur Disposition gestellt. Beispiele dafür sind Naturheilverfahren oder die Psychotherapie. Besteht hier nicht die Gefahr die Therapievielfalt einzuschränken zugunsten der schulmedizinischen Kernlobby?

Naturheilverfahren sollten erstattet werden, wenn ihre Wirksamkeit mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen ist. In diesen Bereichen findet leider zu wenig Forschung statt und es fehlt damit an wissenschaftlicher Fundierung. Auch bei kieferorthopädischen Zusatzleistungen, die von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übernommen und von den Versicherten  selbst gezahlt werden, fehlt es an Transparenz.


Welche Krankenkassen bieten Zusatzleistungen im Bereich Kieferorthopädie?  >>> Krankenkassentest


Die Notwendigkeit, die Art und der Umfang der Zusatzleistungen sind offensichtlich nicht wissenschaftlich untersucht. Das muss dringend geschehen: Denn die Sorge von Eltern darf nicht ausgenutzt werden, um mit unnötigen Behandlungen Geld zu verdienen. Wenn nämlich solche Leistungen einen nachweisbaren Nutzen haben, dann müssen sie auch von den Krankenkassen bezahlt werden. Die Psychotherapie in Frage zu stellen entbehrt jeder Grundlage. Sie gehört zu einer guten medizinischen Versorgung


Warum ist eine eventuelle Überversorgung mit Zahnspangen auch aus sozialpolitischer Sicht kritisch zu sehen?

Überversorgung heißt, dass Leistungen über ein bedarfsgerechtes Maß hinaus erbracht werden. Das können beispielsweise Behandlungen sein, die länger dauern als erforderlich oder die nicht notwendig sind. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Diagnostik und Behandlungen auch Belastungen für die Patientinnen und Patienten mit sich bringen können. Überversorgung kann für die Patientinnen und Patienten sogar schädlich sein.

"Geld, das für unnötige Behandlungen ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle."

Aus sozialpolitischer Sicht ist es vor allem eine Verteilungsfrage: Geld, das für unnötige Behandlungen ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle. Die Gelder der Gesetzlichen Krankenversicherung stammen von den Beitragszahlern und sind hart erarbeitet. Sie müssen dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden.

 

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