„Wir fordern ein Geburtshilfe-Stärkungsgesetz"
Interview mit Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen HebammenverbandesTrotz einer Empfehlung des Bundesrates wurden die Hebammen als Berufsgruppe nicht im neuen Pflegestärkungsgesetz berücksichtigt. Dabei war die Geburtshilfe doch sogar Gegenstand bei den Koalitionsverhandlungen gewesen. Hat die GroKo die Hebammen schlicht vergessen?
Wir Hebammen stehen im Koalitionsvertrag. Vergessen worden sind wir also nicht – aber: es könnte mehr passieren. Bei der Akademisierung geht es voran. Erst kürzlich hat der Gesundheitsminister verkündet, dass die Ausbildung zur Hebamme zukünftig in einem dualen Studium erfolgen soll. Das begrüßen wir sehr.
"Immer weniger Hebammen betreuen immer mehr Frauen."
Aber im Bereich der Geburtshilfe in Kliniken stehen wir mittlerweile vor einer sehr angespannten Situation – immer weniger Hebammen betreuen immer mehr Frauen. Eine gute und sichere Geburtshilfe ist da kaum noch aufrechtzuerhalten. Die Aufnahme ins Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hätte uns geholfen, da dann mehr Personal in den Kreißsälen möglich gewesen wäre. Wir wurden dabei übrigens nicht vergessen, sondern es war eine bewusste Nicht-Aufnahme. Das ist wirklich eine verpasste Chance. Wir benötigen aber dringend politische Maßnahmen und fordern deshalb ein Geburtshilfe-Stärkungsgesetz.
Viele Menschen haben sich mit den Hebammen solidarisiert und Briefe an ihre lokalen Abgeordneten verfasst. Darum eine Frage mit Blick auf mögliche Neuwahlen: Welche Parteien haben überhaupt ein Ohr für die Probleme in der Geburtshilfe-Versorgung?
Die Versorgung mit Geburtshilfe sollte ein Thema aller Parteien sein und das ist auch so. Bereits in den Wahlprogrammen zur vergangenen Bundestagswahl hatten alle Parteien die Problematiken der Hebammen und der Geburtshilfe aufgenommen. Wir bekommen für viele unsere Anliegen Zustimmung von Abgeordneten unterschiedlicher Parteien. Jetzt müssen aus der Zustimmung aber auch konkrete Gesetze und Maßnahmen erwachsen.
Seit Jahren weisen Sie auf Kreißsaalschließungen, unbezahlbare Haftpflichtversicherungen und drohende Unterversorgung wegen Berufsaufgaben hin. Gibt es in diesen Problemfeldern inzwischen auch positive Entwicklungen?
Ja, es gibt durchaus auch positive Entwicklungen. Der Sicherstellungszuschlag fängt für viele freiberuflich in der Geburtshilfe tätigen Hebammen einen großen Teil der Haftpflichtprämien auf. Auch wenn das Verfahren an einigen Stellen schwierig ist und geprüft werden sollte, bedeutet das erstmal eine Unterstützung.
"Unser Sorgenkind ist die klinische Geburtshilfe und die schwierigen Arbeitsbedingungen im Kreißsaal."
Auch die Umsetzung der Akademisierung für Hebamme ist positiv und macht den Beruf attraktiver. In einigen Bundesländern wurden bereits Untersuchungen zur Unterversorgung durchgeführt und Maßnahmen oder Programme für Hebammen aufgelegt. Unser Sorgenkind ist jedoch nach wie vor die klinische Geburtshilfe und die schwierigen Arbeitsbedingungen im Kreißsaal.
Die Geburtenrate ist in Deutschland nach Jahrzehnten wieder gestiegen. In manchen Regionen ist von einem neuen Baby-Boom die Rede. Sollte das nicht zu einem Umdenken in der Gesundheitspolitik führen?
Natürlich brauchen wir ein Umdenken – unabhängig vom Babyboom. Die Geburtshilfe muss immer bestmöglich sein für Mutter und Kind. Es ist nicht egal, wie wir geboren werden! In anderen Ländern wird darauf viel mehr Wert gelegt. Beispielsweise in Großbritannien betreut eine Hebamme nur ein Drittel so viele Geburten wie eine Hebamme in Deutschland. Damit wird eine Eins-zu-eins-Betreuung möglich. In Deutschland sind wir davon weit entfernt.
"Es ist nicht egal, wie wir geboren werden! In anderen Ländern wird darauf viel mehr Wert gelegt."
Mit welchen Aktionsformen werden die Hebammen sich im kommenden Jahr Gehör verschaffen und wie können Menschen sie dabei unterstützen?
Der Hebammenverband hat eine eigene Aktionsplattform www.unsere-hebammen.de. Dort finden UnterstützerInnen Möglichkeiten, die Anliegen der Hebammen lauter und deutlicher zu machen. Beispielsweise können Mütter eintragen, wenn sie keine Hebamme finden. Diese Sammlung von Meldungen hilft uns, auf die Problematik aufmerksam zu machen. Auch im kommenden Jahr sind Aktionen beispielsweise zum Hebammentag Anfang Mai geplant – Reinschauen lohnt sich!
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