Arbeitgeber können Impulse für mehr Bewegung im Job setzen
Interview mit dem Präventionsmediziner Prof. Martin HalleHerr Prof. Halle, sind gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich eine Sache des Managements oder gehört das Thema doch eher ins Privatleben der Arbeitnehmer?
Beides. Die große Aufgabe und Verantwortung, aber auch Chance für Arbeitgeber besteht darin, Impulse zu setzen und die Mitarbeiter immer wieder für eine gesunde Lebensweise zu sensibilisieren und zu motivieren.
"Druck ist meist kontraproduktiv, aber klare Botschaften und Vorgaben sind sinnvoll."
Wo anders und direkt ist dies möglich als bei der Hauptzeit am Tag, bei der Arbeit? Dann muss dieser Impuls aber auch in den Alltag, in den Morgen, den Abend und das Wochenende, übernommen werden. Das wiederum ist klare Privatsache.
Als Präventivmediziner betonen Sie stets, wie wichtig Sport und Bewegung für die Gesundheit sind. Es gibt aber Millionen von Jobs, wo Menschen vorwiegend im Sitzen agieren. Welche kleinen Veränderungen würden Sie Arbeitnehmern wie Arbeitgebern für Sitzjobs ans Herz legen wollen?
Es ist wichtig zu verstehen, dass 10 Minuten intensive oder 30 Minuten moderate körperliche Aktivität am Tag ausreichen, um Gesundheit zu erhalten. Das geht vor oder nach der Arbeit oder in der Mittagspause. Dann kann man auch den ganzen Tag sitzen. Gerade, wer überwiegend am Schreibtisch sitzt, profitiert von Mini-Übungen – etwa einmal pro Stunde zwei Minuten lang Übungen wie Wandstütze, Hampelmann oder Kniebeugen.
"10 Minuten intensive körperliche Aktivität am Tag reichen aus, um Gesundheit zu erhalten"
Auch Dehnübungen helfen, über den Tag zu kommen und entspannen außerdem. Zügiges Treppensteigen ist ebenso eine effektive Maßnahme, die jeder einfach umsetzen kann. Oder mittags draußen an der frischen Luft zehn Minuten schnell gehen. Weitere Tipps: mit dem Rad zur Arbeit fahren. Wer es weiter hat und öffentlich unterwegs ist, kann auf dem Heimweg eine Station früher aussteigen und zu Fuß gehen. Bewegung ist das A und O für die Gesundheit, wichtiger als Ernährung.
Ein gesunder Lebensstil ist zweifellos wichtig, lässt sich aber nicht verordnen. Sollten die Arbeitgeber und auch Krankenkassen aus Ihrer Sicht mehr Druckmittel in die Hand bekommen, um gewünschte Verhaltensänderungen zu erzielen?
Druck ist meist kontraproduktiv, aber klare Botschaften und Vorgaben sind sinnvoll. Arbeitgeber sollten eine Arbeitsumgebung und Unternehmensphilosophie schaffen, die langsam, aber sicher Lebensweise verändert: beispielsweise den Raucherraum in einen Tischtennisraum verwandeln, für Spaziergänge eine fünf bis zehn Minuten längere Mittagspause gewähren etc. Eine gesunde Lebensweise muss zur Normalität werden, gelebt im Unternehmen und mitgetragen von der Führungsspitze.
Die Krankenkassen sind seit einiger Zeit dazu verpflichtet, die Unternehmen bei der betrieblichen Gesundheitsförderung zu unterstützen. Werden hier alle Möglichkeiten schon ausgeschöpft oder benötigen Firmen dabei aus Ihrer Sicht „Nachhilfe“ ?
Meist sind es kleine „Feuerwerke“, die wenig strukturiert und sporadisch durchgeführt werden. Zudem sind oft die Maßnahmen zu wenig in die Unternehmensphilosophie integriert oder werden von den zentralen Personen im Unternehmen nicht mitgetragen. Es gibt allerdings auch gute und erfolgreiche Beispiele, aber die sind nicht die Regel.
Als forschender Präventivmediziner haben Sie Einblick in internationale Entwicklungen. Wie wird das Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement anderswo umgesetzt und welches Land ist dabei aus Ihrer Sicht führend?
Die Skandinavier sind sicherlich führend. Aber es geht eher um Branchen. Junge Start-ups sind da durchaus vorbildlich, weil sie sehr auf Lifestyle ausgerichtet sind. Auch internationale Unternehmen wie BMW sind sehr weit, weil sie wissen, dass kompetentes, junges Personal sehr auf das Umfeld – also auch Gesundheit und „Wohlfühlen am Arbeitsplatz“ – achtet.