Was tun, wenn der Chef über die Krankenkasse bestimmen will?
Interview mit Rechtsanwältin Christiane Köber von der WettbewerbszentraleFrau Köber, auf den ersten Blick scheint es eine einfache sozialpolitische Rechnung zu sein: Versicherte werden ab 2019 beim Krankenkassenbeitrag entlastet, Arbeitgeber im Gegenzug mehr belastet. Wo liegt der Haken für den Wettbewerb der Kassen?
Ab 2019 bezahlen Arbeitgeber und Beschäftigte zu gleichen Teilen die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung. Das gilt anders als bisher nicht nur für den allgemeinen Beitragssatz, sondern auch für den individuellen Zusatzbeitrag. Vermutlich werden Arbeitgeber in Zukunft ein großes Interesse daran haben, dass ihre Arbeitnehmer in einer Krankenkasse mit einem günstigeren Zusatzbeitrag sind. Ob das auch zu vermehrten unlauteren Werbeaktionen der Unternehmen zu Gunsten einer bestimmten Krankenkasse führt, bleibt abzuwarten.
Aus Sicht mancher Arbeitgeber mag das vielleicht verständlich sein. Wir als neutrales Infoportal für Krankenkassen sagen den Versicherten, die sie sich an uns wenden: Ihr habt die freie Wahl. Wo genau steht das im Gesetzbuch geschrieben und gilt es auch uneingeschränkt?
Die freie Wahl der Krankenkasse durch den Arbeitnehmer ergibt sich aus den sozialrechtlichen Vorschriften, insbesondere aus § 173 Sozialgesetzbuch 5. In diesen Vorschriften ist der Versicherte als entscheidender Akteur genannt, nicht der Arbeitgeber.
Die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb wiederum ermöglichen es, bei unfairen Wettbewerbsmethoden Unterlassungsansprüche durchzusetzen.
"Vermutlich werden Arbeitgeber in Zukunft ein großes Interesse daran haben, dass ihre Arbeitnehmer in einer Krankenkasse mit einem günstigeren Zusatzbeitrag sind."
Eine unzulässige wettbewerbswidrige Handlung liegt zum Beispiel dann vor, wenn gegenüber dem Verbraucher eine „Machtposition“ ausgenutzt wird, um ihn zu einer bestimmten geschäftlichen Handlung zu bewegen. Eine solche Machtposition nehmen die Gerichte im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer/ Arbeitgeber grundsätzlich an. Sie darf nicht dazu ausgenutzt werden, den Arbeitnehmer in eine bestimmte Kasse zu drängen.
Die Arbeitgeber sitzen aus Sicht vieler Arbeitnehmer am längerem Hebel – manch einer wird solche Vorgaben kaum hinterfragen und bereitwillig wechseln. An welcher Stelle beginnt die unangemessene Beeinflussung und wer stellt das im Alltag eigentlich fest, wenn die Grenze des Erlaubten überschritten ist?
Gesetze sind immer auslegungsbedürftig. Das bedeutet, dass man in jedem einzelnen Fall die Gesamtumstände betrachten muss. Die Bandbreite reicht von (zulässiger) sachlicher Information bis zu einem Verhalten, dass schon fast an eine Nötigung heranreicht. Wenn der Personalrat per Brief an die Solidarität der Beschäftigten appelliert, um sie zu einem Wechsel in die betriebseigene Krankenkasse zu veranlassen und auch noch eine vorformulierte Kündigungserklärung beigefügt ist, so sind die Grenzen der Lauterkeit überschritten. Oder wenn ein Unternehmen die Auszubildenden bittet, zum ersten Arbeitstag doch gleich die Beitrittserklärung zur Krankenkasse X mitzubringen.
"Die Bandbreite reicht von (zulässiger) sachlicher Information bis zu einem Verhalten, dass schon fast an eine Nötigung heranreicht."
Sachliche Informationen zu günstigen Krankenkassen sind Unternehmen dagegen erlaubt. Führt eine Krankenkasse im Unternehmen Präventionsmaßnahmen durch, etwa eine Ernährungsberatung, muss es dem Arbeitgeber ebenfalls gestattet sein, darüber zu informieren. Stellt die Wettbewerbszentrale ein ihrer Auffassung nach wettbewerbswidriges Verhalten fest, fordert sie den Arbeitgeber zur Unterlassung auf. Kommt es zu keiner Einigung, reicht die Wettbewerbszentrale Klage ein. Dann müssen Gerichte überprüfen, ob die Grenzen der Lauterkeit überschritten sind.
Nicht nur Arbeitgeber führen SV-Beiträge ab, sondern auch die Arbeitsagenturen, Jobcenter und die Rentenversicherung. Gilt für diese SV-Träger das gleiche wie für die Arbeitgeber, oder dürfen Sie Einfluss auf die Wahl der Krankenkasse nehmen?
Grundsätzlich gilt für Arbeitsagenturen, Jobcenter und die Rentenversicherung das gleiche wie für Arbeitgeber, jedenfalls enthält das Sozialgesetzbuch 5 hierzu keine Ausnahmevorschriften.
Die Wettbewerbszentrale hat bislang am vehementesten auf die Problematik hingewiesen und auch gehandelt. Ist Ihre Organisation so etwas wie eine „freiwillige Selbstkontrolle“ oder hat sie auch kartellrechtliche Befugnisse?
Nein, kartellrechtliche Befugnisse hat die Wettbewerbszentrale nicht. Sie ist ein klagebefugter Wirtschaftsverband, der einerseits für faire Wettbewerbsbedingungen in den verschiedensten Branchen sorgt, die andererseits dem Verbraucher zu Gute kommen. Die meisten Verstöße können schnell, effektiv und kostengünstig durch Unterlassungserklärungen abgestellt werden.
In der Arbeitswelt gibt es Gewerkschaften, Betriebsräte, Dachverbände und Aufsichtsgremien. An wen könnten und sollten sich die Beschäftigten wenden, wenn Sie sich bedrängt fühlen bei der Wahl der Krankenversicherung?
Arbeitnehmer können sich an jede Vertrauensperson wenden. Mir ist bewusst, dass es schwierig ist, gegen den eigenen „Brötchengeber“ vorzugehen. Die Bedrängung muss man zudem nachweisen, sei es durch ein Gesprächsprotokoll, sei es durch ein Anschreiben, das der Arbeitgeber vielleicht an alle Beschäftigten geschickt hat. Das macht es nicht einfacher. Aber wenn es derartige Nachweise gibt, so kann man sich auch gerne an die Wettbewerbszentrale wenden.
Frau Köber, wir bedanken uns für dieses Gespräch.