Ich sehe die digitale Selbstbestimmung als gefährdet an.
Interview mit Dr. Bernhard Scheffold vom Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V.Herr Dr. Scheffold, das Projekt der umfassenden IT-Vernetzung im Gesundheitswesen scheint nun vor seiner Realisierung zu stehen. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die digitale Selbstbestimmung der Patienten und Versicherten?
Ich sehe die digitale Selbstbestimmung als gefährdet an. Zum einen gibt es digitale Dienste, die verpflichtend sind, wie den Stammdatenabgleich. Zum zweiten ist bei den sogenannten freiwilligen Diensten fragwürdig, inwiefern eine Zustimmung in einer Notsituation wirklich informiert und freiwillig erfolgen kann. Und zu guter Letzt höhlt der Gesetzgeber Sicherheit und Patientensouveränität immer weiter aus, wie man am aktuellen Entwurf für das Terminservice-Verbesserungsgesetz erkennen kann. Von der Prämisse startend, dass der Zugriff über die Autorisierung durch Heilberufsausweis und Patienten-Gesundheitskarte nicht mehr zeitgemäß seinen, legt Jens Spahn einen Gesetzentwurf vor, der einfach einen unsicheren Zugang über Handy und Tablett ermöglicht.
"Der Gesetzgeber höhlt Sicherheit und Patientensouveränität immer weiter aus"
Politik und Krankenkassen betonen immer wieder, dass die Datenhoheit der Versicherten oberstes Prinzip sein soll und verweisen auf die Freiwilligkeit der Dienste und die Einhaltung aller EU-Richtlinien in Sachen Datenschutz. Wie schätzen sie persönlich als IT-Experte diese Aussagen ein?
Freiwilligkeit in einer Notsituation ist ein fragwürdiges Konzept. Die meisten Patienten in Not stimmen allem zu, was ihnen vorgelegt wird. Die EU-Richtlinien in Sachen Datenschutz sind in der Tat im weltweiten Vergleich als vorbildlich zu bezeichnen, aber sie können einen Datendiebstahl so wenig verhindern, wie ein gesetzliches Verbot Morde verhindert.
Nachdem die gematik lange Zeit allein für das Projekt 'eGK' inklusive Patientenakte verantwortlich war, arbeiten nun verschiedene die Krankenkassen selbst mit privaten Unternehmen an eigenen Lösungen. Sehen Sie durch diese Unübersichtlichkeit neue und bisher nicht beachtete Gefahren für die Datensicherheit auf uns zukommen?
Diese „Unübersichtlichkeit“ kann sogar Vorteile für den Patienten bringen: Wenn es nicht die eine verpflichtende Akte gibt, hat der Patient eventuell noch die Chance auf eine unvoreingenommene ärztliche Zweitmeinung. Voraussetzung ist dann allerdings, dass es keine verpflichtende zentrale Registrierung der Patientenakten gibt, wo ein Arzt mittels der Versichertennummer sofort erkennen kann, ob ein Patient bereits eine Akte hat.
"Eine breit angelegte Weigerung in der Ärzteschaft wird nicht ignoriert werden können."
Neben besorgten Versicherten und Patienten gibt es nach wie vor auch Kritik von Ärzten an den Plänen. Wie wirksam können sich ablehnende Stimmen derzeit überhaupt noch Gehör verschaffen und worauf konzentrieren Sie sich dabei?
Eine breit angelegte Weigerung in der Ärzteschaft, sich trotz Sanktionen nicht an die Telematik-Infrastruktur anzuschließen wird nicht ignoriert werden können. Die Patienten wurde ja leider schon durch repressive Maßnahmen die bis zur Behandlungsverweigerung gingen überwiegend dazu gebracht, sich eine elektronische Gesundheitskarte ausstellen zu lassen.
Die individuelle Verweigerung der eGK ist von den Krankenkassen teilweise drastisch bis zur Leistungsverweigerung sanktioniert worden. Was empfehlen sie Menschen, die ihre Gesundheitsdaten auf keinen Fall jetzt oder in Zukunft für eine Speicherung auf Servern zur Verfügung stellen möchten?
Auf der Ebene individueller Verweigerung ist in der Tat nicht mehr viel zu bewirken. Man kann freiwillige Dienste noch ablehnen, so lange sie noch freiwillig sind, aber wie schon weiter oben erläutert, ist diese „Freiwilligkeit“ schon an sich fragwürdig. Die beste Option scheint mir daher, das Problem auf der politischen Ebene anzugehen. Beispielsweise setzt sich der Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V. für eine tatsächliche digitale Souveränität der Patienten ein. Der Verein erarbeitet Positionen aus Patientensicht und strebt Einfluss auf die Selbstverwaltung der Krankenkassen an, in dem er die Sozialwahlen kritisch begleitet und eigenen Kandidaten stellen will. Eine weitere gute Möglichkeit ist, das Gespräch mit den Abgeordneten zu suchen, damit diese eine andere als die Lobby-Perspektive vermittelt bekommen.
Dr. rer. nat. Bernhard Scheffold promovierte 1993 in Physik und hat einen Bakkalaureus in Mathematik. Er hat Erfahrung in der Entwicklung von Software für die Finanzbranche, für die Gesundheitsbranche, für Systembiologie und eCommerce, wo er derzeit als Softwarearchitekt tätig ist. Er engagiert sich als Vorstand des Vereins Patientenrechte und Datenschutz e.V. für die Wahrung von Patientenrechten in Zeiten, in denen vor allem die Chancen der Digitalisierung propagiert werden, aber ihre Risiken unterschlagen oder marginalisiert werden.
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