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Proteste

Bundesweiter Therapeuten-Protest: Warum die Politik jetzt handeln muss

Interview mit Volker Brünger von 'Therapeuten am Limit'
veröffentlicht am 22.08.2018 von Redaktion krankenkasseninfo.de

Volker Brünger von "Therapeuten am Limit"Volker Brünger von "Therapeuten am Limit"(c)
Einen Termin beim Physiotherapeuten oder Logopäden zu bekommen, wird wegen des Fachkräftemangels immer schwieriger. Zu hart sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, zu gering der Verdienst. Viele ausgebildete Therapeuten wechseln den Job und Praxen stehen vor dem Aus. Mit einer bundesweiten Protestaktion mobilisieren jetzt die Ergo- und Physiotherapeuten, Logopäden und andere Heilmittelerbinger ihre Berufskollegen. Über deren Ziele sprachen wir mit Volker Brünger von „Therapeuten am Limit“. 
 

2018-08-22T10:14:00+00:00
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Herr Brünger die große Koalition hat sich viele Baustellen im Gesundheitswesen vorgenommen. Sie entlastet die Versicherten, bekämpft den Pflegenotstand und verbessert die Krankenhausfinanzierung. Waren die Physiotherapeuten und anderen Heilmittelerbringer bislang einfach zu leise um gehört zu werden?

Definitiv. Die mitgliederstärksten Berufsverbände hatten allerdings bis zum Frühjahr 2018 Demonstrationen und öffentlichkeitswirksame Aktionen abgelehnt und waren der Meinung mit vertrauensvollen Gesprächen und ohne zu großen Druck bessere Ergebnisse erzielen zu können. Hinzu kommt, dass die Heilmittelerbringer innerhalb der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen kein Mitbestimmungsrecht haben.

Eigentlich wollte der Gesetzgeber die Lage der Therapieberufe mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz verbessern, das seit März 2017 in Kraft ist. Warum reicht dieses Paket nicht aus – immerhin sieht es Verdienstzuwächse bis zu 32 Prozent vor?

32 Prozent hören sich zunächst viel an.  Allerdings verteilt sich die Erhöhung auf drei Jahre und entscheidend ist die Basis in absoluten Zahlen auf die sich diese Steigerung bezieht. Die Honorierung im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung war über Jahrzehnte von der allgemeinen Lohnentwicklung abgehängt. In der Physiotherapie konnten die Verhandlungen erstmals 2013 auf Höhe der Grundlohnsummenentwicklung abgeschlossen werden, in der Ergotherapie erst seit 2015.

Gleichzeitig waren die Steigerungen dann an der Oberseite durch die Grundlohnsummenentwicklung gesetzlich gedeckelt, sodass diese entstandene Lücke nicht geschlossen werden konnte. Regional unterschiedlich wurden aufgrund des Fachkräftemangels bereits die Gehälter in den Praxen erhöht. In Verbindung mit steigenden Kosten hat dies dazu geführt, dass aktuell viele Praxisinhaber von Insolvenz bedroht sind, insbesondere dann wenn zusätzlich hohe Investitionen getätigt werden müssen.

Ihre Kritik richtet sich auch sehr stark an die Krankenkassen, denen Sie bürokratische Gängelung und mangelnde Vergütung ihrer Leistungen vorwerfen. Auf welchen Wegen haben sie bislang versucht die Probleme mit den Kassen zu lösen?

Die Problemlösung mit den Krankenkassen gestaltet sich schwierig. Dort macht man es sich oft leicht und verweist auf die gesetzlichen Vorgaben und Rahmenempfehlungen der Selbstverwaltung. Mit einigen Kassen sind wir direkt im Gespräch. Schnelle Lösungen werden dort allerdings nicht in Aussicht gestellt.

Welche Wirkung erhoffen sich die Teilnehmenden von der Protestaktion?

Zunächst natürlich als Außenwirkung, dass die Probleme der Branche in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und dass dadurch auch die Sicherstellung der Patientenversorgung in den Fokus rückt. Hinzu kommt natürlich eine Wirkung nach innen. Die bisherigen Aktionen haben gezeigt, dass immer mehr Berufsangehörige mobilisiert werden. Wirtschaftliche Probleme zu zugeben ist nicht immer leicht. Viele Selbständige scheuen dieses Thema, weil sie eigenes Unvermögen für wahrscheinlicher halten als generelle Systemfehler. Daher ist die Botschaft dass die Kolleginnen und Kollegen mit ihren Problemen nicht allein sind sehr zentral und wichtig.


Gesundheitsminister Spahn hat die Berufsverbände der Therapeuten für Mitte September zu einem Treffen eingeladen. Welche Vorschläge und Forderungen werden die „Therapeuten am Limit“ mit nach Berlin nehmen?

Zu dem Treffen sind wir als Initiative nicht eingeladen. Herrn Spahn und dem Ministerium liegen jedoch weit über 1.000 Beschwerdebriefe vor, die die Probleme im Detail beschreiben. Aus unserer Sicht muss es eine schnelle Lösung geben, um den Exodus aus den Berufen zu stoppen.

Die CDU/CSU Fraktion hat durch Dr. Kühne bereits ein Sofortprogramm entwickelt. Das Bundesgesundheitsministerium hat jedoch schon auf eine Anfrage der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU Fraktion verlauten lassen, dass es für eine solche Sofortmaßnahme keinen Anlass sieht. Wir sehen dieses Programm als existenziell für die Branche. Wenn das Ministerium sich allerdings schon vor einem Treffen mit den Berufsangehörigen so deutlich positioniert muss die Frage gestellt werden, ob die Vertreter nicht eher zu PR-Zwecken eingeladen werden.

 

Volker Brünger ist ausgebildeter Physiotherapeut und war 14 Jahre selbständig mit eigener Praxis. Nach einem anschließenden Studium der Gesundheitsökonomie ist er nun freiberuflich tätig und gehört zum Organisations-Team von "Therapeuten am Limit".
 

>> Zur Aktion "Therapeuten am Limit"

 

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