"Ich bin nicht der Einzige der langsam ungeduldig wird"
AOK-Chef Litsch zur digitalen Akte anstelle der eGKHerr Litsch, Ende März haben Sie die Elektronische Gesundheitskarte insgesamt für gescheitert erklärt. Warum haben Sie diese drastische Formulierung gewählt?
Als Mitgliedsausweis der Versicherten funktioniert die eGK zwar einwandfrei. Aber mit den seit mehr als zehn Jahren geplanten telematischen Funktionen der Karte hapert es. Das liegt auch am Aufgabenzuschnitt und den lähmenden Entscheidungsstrukturen der gematik. Deshalb fordern wir eine Fokussierung der gematik auf die Steuerung relevanter Rahmenbedingungen, damit die digitalen Anwendungen endlich verfügbar werden.
Bislang war kein Widerpruch vom GKV-Spitzenverband oder der Gematik zu hören. Welche Reaktionen gab es auf ihren Vorstoß?
Es wird Zeit, dass sich beim Thema Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen endlich etwas bewegt – da bin ich nicht der einzige, der langsam ungeduldig wird. Ich habe jedenfalls viel Zuspruch von verschiedenen Seiten bekommen.
Die AOK geht mittlerweile eigene Wege bei der Digitalisierung und mobilen Vernetzung. Welche Vision steht hinter der AOK-Patientenakte und in welchem Zeitraum könnte diese realisiert werden?
Das AOK-Gesundheitsnetzwerk ist ein Portal zum digitalen Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Patienten, niedergelassenen Ärzten und Kliniken. Es bietet die technische Plattform für die sektorübergreifende Vernetzung zwischen den einzelnen Akteuren. Über ihr Smartphone oder ihren Computer können die teilnehmenden Versicherten ihre vom behandelnden Arzt in Praxis oder Klinik bereitgestellten Gesundheitsinformationen jederzeit einsehen und anderen Ärzten zur Verfügung stellen. Zusätzlich können sie Informationen abrufen, die von der AOK in regelmäßigen Abständen automatisch zur Verfügung gestellt werden – beispielsweise Informationen zur Medikation auf Basis von Abrechnungsdaten der Ärzte. Das Gesundheitsnetzwerk soll über Schnittstellen direkt mit den Software-Systemen der teilnehmenden Ärzte und Kliniken verbunden werden, sodass diese keine zusätzliche Software nutzen müssen. Wir sind bereits im März in unserer ersten Pilotregion in Mecklenburg-Vorpommern gestartet und die nächsten beginnen kurzfristig.
Neben dem Aspekt der mobilen Verfügbarkeit ist auch die Frage der Datenspeicherung entscheidend. Bei der eGK wurde auf zentrale Server gesetzt, was politisch für Widerspruch sorgte. Welchen Weg will die AOK bei diesem nicht nur technischen Problem gehen?
Die medizinischen Daten der Patienten werden im AOK-Gesundheitsnetzwerk dezentral gespeichert. Das heißt, sie bleiben auf dem Server der jeweiligen Arztpraxis oder Klinik. In der digitalen Akte wird quasi ein Link gesetzt, über den dann andere Ärzte auf die Befunde und Dokumente wie Röntgenbilder oder Krankenhaus-Entlassbriefe zugreifen können – immer vorausgesetzt, der Patient hat sein Einverständnis für den Datenaustausch gegeben. Denn der Patient hat beim AOK-Gesundheitsnetzwerk die Datenhoheit.
Auch die Techniker Krankenkasse entwickelt gemeinsam mit einem großen IT-Unternehmen eine mobile elektronische Patientenakte. Sorgt das nicht für unnötige Konkurrenz und neue technische Probleme, wenn jede Krankenkasse ihre eigene digitale Lösung vorlegt?
Als offene Plattform soll das digitale Gesundheitsnetzwerk der AOK schrittweise allen Akteuren im Gesundheitswesen zur Verfügung stehen, auch anderen Krankenkassen. Deshalb achten wir auch streng darauf, dass alles, was wir entwickeln, „anschlussfähig“ ist, auch an die Telematikinfrastruktur der gematik. Diese Interoperabilität wird auf Grundlage international etablierter Standards sichergestellt. Wir wollen ein Teil der Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen sein und keine neuen Barrieren aufbauen. Wir stehen mit anderen Krankenkassen in engem Kontakt, um hier gemeinsamen Standards zum Durchbruch zu verhelfen.
Die Daten der Versicherten sollen dritten unzugänglich, aber gleichzeitig mobil und verfügbar sein. Wie ist aus Ihrer Sicht im Fall eines Krankenkassenwechsels mit den gespeicherten Gesundheitsdaten auf AOK-Servern umzugehen?
Wie gesagt: Es gibt keine zentrale Speicherung der medizinischen Daten, diese bleiben bei den teilnehmenden Ärzten und Kliniken. Und die AOK hat gar keinen eigenen Zugriff darauf. Der Versicherte kann alle zur Verfügung gestellten Daten herunterladen und damit bei einem Krankenkassenwechsel auch mitnehmen. Allerdings kann er dann nicht mehr die Vorteile des digitalen Gesundheitsnetzwerks der AOK nutzen. Da kann er nur hoffen, dass seine neue Kasse auch so innovative Angebote hat.
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Auf dem Weg in die Digitalisierung
Im seit 2016 geltenden E-Health-Gesetz sind die Anforderungen an einen sicheren Umgang mit den elektronischen Daten der Kassenmitglieder sowie der Ausbau einer 'digitalen Infrastruktur' im Gesundheitswesen festgeschrieben.