Scheinselbstständigkeit vermeiden - Worauf es bei Verträgen ankommt
Knapp vier Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten als Solo-Selbstständige. Als Unternehmer ohne Angestellte nehmen sie Aufträge an oder schließen für Ihre angeboteten Tätigkeiten und Dienstleistungen Honorarverträge ab. Dabei übernehmen sie als Unternehmer ohne eigene Mitarbeiter verschiedene Tätigkeiten und schließen entsprechende Verträge mit ihren Auftraggebern. Allerdings besteht in manchen Fällen das Risiko, dass diese selbstständige Tätigkeit in Wahrheit eine Scheinselbstständigkeit darstellt. Dies kann weitreichende Konsequenzen für beide Seiten haben.
Selbstständig oder scheinselbstständig?
Für die Definition einer Scheinselbstständigkeit gelten klare Kriterien, die sowohl den Auftraggebern als auch den Auftragnehmern bekannt sein sollten. Selbstständige und Freiberufler sollten beispielsweise eine aktive Auftragsaquise am Markt und möglichst mehrere Auftraggeber nachweisen können. Eine Referenzliste mit allen aktuellen Kunden auf der eigenen Homepage kann hier bereits hinreichend für einen Nachweis sein.
- Mehrere Auftraggeber: Eine aktive Akquise mehrerer Kund*innen verringert die Gefahr, als scheinselbstständige Person eingestuft zu werden
- Eigene Unternehmensstruktur: Wer ein eigenes Unternehmen mit separater Betriebsstätte und eigener Außenwirkung führt, wird seltener als abhängiger Beschäftigte*r eingestuft.
- Freie Zeiteinteilung: Selbstständige sollten ihre Arbeitszeiten eigenständig planen und nicht an Vorgaben des Auftraggebers gebunden sein.
- Keine (oder wenige) Weisungen: Der oder die Auftragnehmer*in sollte nicht in den Betriebsablauf des Auftraggebers eingegliedert sein oder permanent weisungsabhängig arbeiten.
Freie Zeiteinteilung ohne Präsenzpflicht
Vor wenigen Jahren galt eine Anwesenheitspflicht am Arbeitsplatz als Unterscheidungsmerkmal zwischen freiberuflicher und lohnabhängiger Beschäftigung. Die zunehmende Flexibilisierung und Virtualsierung der Arbeitswelt ließ dieses Kriterium mehr oder weniger hinfällig werden. Genauer ist hier die Feststellung, ob der Auftragnehmer seine Arbeitszeit frei einteilen kann oder sich verpflichtet, eine feste Arbeitszeit pro Tag oder Woche am Projekt zu arbeiten. Hier gilt: Selbstständige können über ihre Arbeitszeit frei verfügen und sich diese grundsätzlich frei nach Auftragslage einteilen.
Ausgewogene Umsatzverteilung
Ein typischer Fallstrick für die Scheinselbstständigkeit lauert, wenn es einen langfristigen Hauptauftraggeber gibt, über dessen Aufträge fast der gesamte Umsatz generiert wird. Hier gilt die so genannte Fünf-Sechstel-Regel, wonach eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, wenn ein Selbstständiger mehr als fünf Sechstel seines Einkommens bei einem einzigen Auftraggeber verdient. Bevor man sich als Freiberufler für einen größeren Auftrag an einen einzigen Auftraggeber bindet, der die meiste Arbeitszeit in Anspruch nimmt, sollte man in beiderseitigem Interesse die Option auf eine vorübergehende Teilzeitanstellung in Betracht ziehen. Die Selbstständigkeit kann für den Zeitraum beim Finanzamt vorübergehend ale nebenberuflich deklariert und zusätzlich ausgeübt werden.
Selbstständige hören nicht auf einen "Chef"
Ein ziemlich klares Unterscheidungsmerkmal ist das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Ist der Auftragnehmer per Vertrag weisungsgebunden und angewiesen, regelmäßig Bericht über den Fortgang des Auftrags zu erstatten, weist das auf eine mögliche Scheinselbstständigkeit hin. Bei der Vertragsgestaltung mit Freelancern sollte daher auf entsprechende Offenheit in der Formulierung der Klauseln geachtet werden. Hier helfen entsprechende Musterverträge von Berufsverbänden, um gefährliche Klippen zu umschiffen.
Statusfeststellverfahren mit Tiefenprüfung
Immer wieder kommt es vor, dass die Merkmale einer Scheinselbstständigkeit bewusst oder unbewusst nicht gesehen werden. Sobald ein Finanzamt oder Krankenkasse einen konkreten Verdacht hat, wird ein so genanntes Statusfeststellverfahren eingeleitet. In diesem Verfahren prüft häufig die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung, ob es sich um eine echte selbstständige Tätigkei oder um eine abhängige Beschäftigung handelt. Dabei handelt es sich um eine Art Tiefenprüfung über alle relevanten Abrechnungs- und Beauftragungsvorgänge.
Nachzahlungen und Sozialschulden
Endet das Statusfeststellungsverfahren mit der Bestätigung einer Scheinselbstständigkeit, ordnet die Behörde für den untersuchten Zeitraum rückwirkend eine Versicherungspflicht an. In der Regel werden dann Sozialversicherungsbeiträge für die Krankenversicherung , die Pflegeversicherung, die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung nacherhoben. In manchen Fällen drohen hohe Summen, da die Nachzahlung über mehrere Monate rückwirkend gefordert werden kann. Zusätzlich müssen Arbeitgeber und Auftraggeber unter Umständen auch den Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung übernehmen. Die auf diese Weise aufgelaufenen Sozialschulden können eine enorme finanzielle Belastung für kleinere Firmen darstellen und sogar zu Konkurs führen.
Checkliste Scheinselbstständigkeit
Wichtiger Hinweis: Diese Checkliste dient lediglich als erste Orientierung. Eine abschließende Bewertung hängt immer von den individuellen Umständen ab. Bei Unsicherheiten oder im Zweifelsfall ist es ratsam, fachlichen Rat, beispielsweise von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht oder von der Deutschen Rentenversicherung, einzuholen.
Scheinselbstständigkeit ist ein komplexes Thema, das im Zweifel im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens gemäß SGB geprüft wird. Sowohl Auftraggeberinnen als auch Auftragnehmerinnen sollten sich frühzeitig über die Kriterien informieren, um das Risiko einer rückwirkenden Einstufung als abhängige Beschäftigung zu minimieren. Andernfalls können Nachzahlungen für mehrere Monate drohen und sowohl für das Unternehmen als auch für die scheinbar selbstständig tätige Person zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Wer auf eine ausgewogene Verteilung der Auftraggeber achtet, seine Tätigkeit nachweislich eigenverantwortlich ausübt und die vertraglichen Regelungen sorgfältig gestaltet, hat gute Chancen, nicht als scheinselbstständig eingestuft zu werden – und vermeidet so weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten. Auch im Krankheitsfall sollte klar sein, wer welche Sozialversicherungen bedient und ob ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt. Der Bund und die zuständigen Finanzämter sowie Sozialversicherungen achten zunehmend auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, sodass eine rechtzeitige Prüfung und korrekte vertragliche Ausgestaltung entscheidend ist, um Probleme zu vermeiden.